Diesel-Entscheidung des BGH: 43 Seiten Praxis- und Prüfungswissen
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Der Bundesgerichtshof hat jetzt die Gründe seiner am 25. Mai verkündeten Diesel-Entscheidung veröffentlicht. Das Urteil ist ein Leckerbissen für jeden Juristen. Unabhängig davon, dass es Signalwirkung für Zehntausende anhängige Diesel-Verfahren hat, finden sich darin grundsätzliche Ausführungen zu zentralen zivilrechtlichen Fragen, etwa zur mittelbaren Schädigung, zum Vermögensschaden, zur Zurechnung und zum Vorteilsausgleich. Es bekommt daher das Prädikat: Besonders praxis- und prüfungsrelevant.

Sittenwidriges Verhalten durch strategische Entscheidung für Täuschung

Die wesentlichen Erwägungen des unter anderem für das Deliktsrecht zuständigen VI. Zivilsenats hatte der BGH schon in einer Pressemitteilung am Tag der Verkündung kundgetan. Nur eine gute Woche später folgte nun der für die Fachkreise bedeutsame Volltext. Er umfasst 43 Seiten und 87 Randnummern. Das sittenwidrige Verhalten sieht der BGH – wie schon die Vorinstanz – in der grundlegenden strategischen Entscheidung von VW, aus Gewinninteresse systematisch, langjährig und in sehr hoher Stückzahl Fahrzeuge mit illegaler Abschalteinrichtung verkauft und dabei das Kraftfahrzeugbundesamt vorsätzlich getäuscht zu haben. Ein solches Verhalten sei auch gegenüber den Käufern dieser Fahrzeuge besonders verwerflich.

Vermögensschaden schon im Vertragsschluss

Ausführlich begründet der Senat auch, warum trotz objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Vermögensschaden vorliegt. Maßgeblich war aus Sicht des BGH, dass der Käufer durch einen letztlich ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten hat, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war. Denn der verdeckte Sachmangel des Fahrzeugs hätte zu einer Betriebsbeschränkung oder sogar -untersagung führen können.

Überlegungen zur Anrechnung des Nutzungsvorteils

Wie schon die Vorinstanz bejaht auch der BGH, dass sich der Käufer die gefahrenen Kilometer als Nutzungsvorteil auf den Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muss. Der Kläger hielt das für unbillig und für ihn unzumutbar. Auch in der Literatur war diese Ansicht mehrfach vertreten worden. Der Senat erkennt zwar die präventive Wirkung des Deliktsrechts an, befürchtet aber bei einem grundsätzlichen Ausschluss der Vorteilsausgleichung zu Präventionszwecken, dass der Ersatzanspruch in die Nähe eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes gerückt würde.

Fair: Sekundäre Darlegungslast trifft VW

Für die Praxis besonders interessant sind auch die Ausführungen zur sekundären Darlegungslast, hier im Zusammenhang mit der Zurechnung des Verhaltens ehemaliger leitender Mitarbeiter und Vorstände von VW. Der Kläger hatte dafür hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen; Volkswagen hatte das mit der Begründung, es lägen keine entsprechenden Erkenntnisse vor, einfach bestritten. Das genügte aus Sicht des BGH hier entgegen den allgemeinen Grundsätzen nicht. Vielmehr hätte VW hier die internen Vorgänge weiter aufklären und diese Erkenntnisse vortragen müssen. Dies sei, anders als von dem Autokonzern kritisiert, auch kein unzulässiger Ausforschungsbeweis. Die sekundäre Darlegungslast gehe zwangsläufig damit einher, dass die belastete Partei Tatsachen vortragen muss, von denen der Prozessgegner andernfalls keine Kenntnis erlangt hätte oder hätte erlangen können, so der Senat. Das sei im Hinblick auf eine faire Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten hinzunehmen.

BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19

Redaktion beck-aktuell, 2. Juni 2020.