Die jüngsten Klima-Urteile von US Supreme Court und BVerfG

Ende letzter Woche hat das oberste Gericht der USA einer Klage des Bundesstaates West Virginia stattgegeben und geurteilt, dass weitreichende Regeln zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen die Befugnisse der US-Umweltbehörde EPA überschreiten. Klimaschützer reagierten alarmiert und warnten vor einer koordinierten Strategie der Konservativen in Politik und Wirtschaft. Wir geben einen Überblick über die Entscheidung und werfen einen Blick auf die Rechtslage und die Rechtsprechung in Deutschland.

US-Gericht erschwert Regulierung der Umweltverschmutzung durch Bundesbehörde

Der US Supreme Court hat US-Präsident Joe Biden mit seiner jüngsten Entscheidung zur Klimapolitik einen weiteren Schlag versetzt. Der Streit darüber, inwieweit die EPA befugt ist, Kraftwerke dazu zu zwingen, ihre Umweltverschmutzung zu reduzieren, hat sich mittlerweile in eine Grundsatzfrage darüber entwickelt, wie viel Macht US-Bundesbehörden haben sollen und dürfen, die wie die EPA der Regierung unterstehen. Bislang konnte Biden versuchen, über solche Bundesbehörden die Umweltverschmutzung zu regulieren. Das wird nun erschwert. Es sei nicht plausibel, so die Urteilsbegründung, dass der Kongress der Umweltbehörde eine entsprechende Befugnis erteilt habe. Eine Entscheidung von solcher Tragweite und Konsequenz obliege dem Kongress selbst oder einer Behörde, die auf der Grundlage einer klaren Anweisung dieses repräsentativen Organs handle.

Grundlage: Clean Air Act

Grundlage für den nun entschiedenen Fall bildet die wohl prominenteste und bedeutendste Klimaklage überhaupt in den USA, der Fall Massachusetts v. EPA aus dem Jahr 2007, in deren Folge die Regierung der USA auf Grundlage des sogenannten "Clean Air Act" Treibhausgase als Luftschadstoffe einstufte und die EPA erstmals die Emissionen entsprechend regulieren konnte. Eine dagegen gerichtete Klage wurde 2012 verworfen (Coalition for Responsible Regulation v. EPA). Im Fall Utility Air Regulation Group v. EPA (2014) schränkte der oberste Gerichtshof die Regulationsmöglichkeit der EPA jedoch wieder etwas ein. Mit der nunmehr ergangenen Entscheidung West Virginia v. EPA (2022) wurde diese Haltung gefestigt.

Formfehler ist Basis für die Entscheidung

Wie der Humanistische Pressedienst (hpd) berichtet, ist ein Formfehler die alleinige Basis für diese Entscheidung. Bei der letzten Anpassung des Clean Air Act im Jahr 1990 habe die Legislative vergessen, die zwei vorliegenden Versionen des Gesetzes zu vereinheitlichen. Die des Senats beinhalte eine explizite Klausel, in der der EPA die Kompetenz zur Festlegung von Emissionsobergrenzen übertragen wird; jene Klausel fehle allerdings in der Version des Abgeordnetenhauses. In einer Klage des Autoherstellers Chevron gegen Abgasregulierungen im Jahr 1984, in der Chevron dem Kongress vorwarf, in dem zugrundeliegenden Gesetz nicht genau bestimmt zu haben, welche Arten von Abgas reguliert werden dürfen, stellte sich das Gericht noch auf die Seite der EPA und argumentierte, dass das Gericht bei einer unklaren Gesetzeslage nicht einfach eine eigene Interpretation vornehmen dürfe.

Gericht begründet Entscheidung mit fehlender Befugnis

Die eigentliche Tragweite der Entscheidung im Fall West Virginia v. EPA liege also nicht in der Positionierung, sondern in der Begründung eben dieser, da der Supreme Court das Fehlen einer explizit enumerierten Befugnis als Grund für die Einschränkung behördlicher Arbeit heranziehe.Die unterlegene Richterin Elena Kagan formulierte es in ihrer von zwei Kollegen mitgetragenen abweichenden Meinung so: "Das Gericht ernennt sich selbst – statt des Kongresses oder der Fachbehörde – zum Entscheider in Sachen Klimapolitik. Mir fallen nicht viele Dinge ein, die ich furchteinflößender finde." 

Kritiker werfen den Konservativen Blockade-Strategie beim Klimaschutz vor 

Der aktuelle Fall vor dem Supreme Court sei das "Ergebnis einer koordinierten, mehrjährigen Strategie" von republikanischen Generalstaatsanwälten, konservativen Rechtsaktivisten und deren Geldgebern, die Fähigkeit der Exekutive im Kampf gegen die Aufheizung des Planeten zu schwächen, hatte die "New York Times" bereits zuvor geschrieben. Die Kläger, von denen einige Verbindungen zur Öl- und Kohleindustrie haben, wollten den sogenannten Verwaltungsstaat eindämmen. Christian Stöcker von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg schreibt im „Spiegel“ gar von einer "unglaubliche[n], globale[n] Macht der Branchen, die uns in den Untergang führen". Seit Jahren würden "die sogenannten Konservativen, die in Wahrheit primär willfährige Handlanger der US-Öl-, Gas- und Kohleindustrie sind", auf die Möglichkeit hinarbeiten, "ihre planet- und damit zivilisationszerstörenden Geschäftsmodelle vor möglichst jeder Einschränkung zu beschützen."

2021: BVerfG kassiert Klimaschutzgesetz

Die Entscheidung aus den USA steht in krassem Kontrast zum Urteil des BVerfG aus dem Jahr 2021, mit welchem dieses das Klimaschutzgesetz 2019 für in Teilen verfassungswidrig erklärte. Die Regelungen über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen seien insofern mit den Freiheitsrechten der zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden unvereinbar, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlten. Zu dem gebotenen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität reichten die gesetzlichen Maßgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht aus. Der Gesetzgeber sei daher verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31.12.2022 näher zu regeln. 

2022: 11 Klima-Verfassungsbeschwerden gegen Länder gescheitert

Demgegenüber sind 11 Verfassungsbeschwerden junger Menschen für mehr Klimaschutz durch die Länder in diesem Jahr vor dem BVerfG gescheitert. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Es lasse sich nicht feststellen, dass die angegriffenen Regelungen des Landesrechts gegen die verfassungsrechtliche Verpflichtung verstoßen, die grundrechtsgeschützte Freiheit über die Zeit zu sichern und verhältnismäßig zu verteilen. Die Grundrechte schützten davor, dass die durch das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG und die grundrechtlichen Schutzpflichten gegen Klimawandelfolgen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG) aufgegebene Treibhausgasminderungslast einseitig auf spätere Zeiträume verlagert wird, wenn dies in der Zukunft zu unverhältnismäßigen Belastungen durch dann erforderliche Klimaschutzmaßnahmen führt. Die Beschwerdeführenden könnten sich gegen Regelungen wenden, die festlegten, welche Menge an CO2 in näherer Zukunft insgesamt emittiert werden dürfe, wenn dadurch für anschließende Zeiträume die grundrechtlich geschützte Freiheit eingriffsähnlich eingeschränkt wird, indem schon jetzt - nicht bloß faktisch, sondern auch rechtlich vorwirkend - über künftig unausweichliche Grundrechtsrestriktionen in Gestalt dann erforderlicher staatlicher Klimaschutzmaßnahmen mitbestimmt wird. Die Verfassungsbeschwerde müsse sich dabei grundsätzlich gegen die Gesamtheit der durch den adressierten Gesetzgeber zugelassenen Emissionen richten, weil regelmäßig nur diese, nicht aber punktuelles Tun oder Unterlassen des Staates die Reduktionslasten unverhältnismäßig auf die Zukunft verschieben könnte.

Mangels grob landesspezifischen CO2-Restbudgets keine Vorwirkung

Laut BVerfG kann dahinstehen, inwiefern es sich bei den angegriffenen Landesregelungen um solche gesamthaften Regelungen handele. Denn jedenfalls sei nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Regelungen eingriffsähnliche Vorwirkung entfalten. Das setzte voraus, dass die mit den Verfassungsbeschwerden adressierten Gesetzgeber selbst jeweils einem grob erkennbaren Budget insgesamt noch zulassungsfähiger CO2-Emissionen unterlägen. Nur dann zögen die hier angegriffenen Landesregelungen im Anschluss an den geregelten Zeitraum rechtlich zwangsläufig jeweils eine bestimmte Emissionsreduktionslast und damit verbundene Freiheitsbeschränkungen nach sich. Den einzelnen Landesgesetzgebern sei jedoch keine wenigstens grob überprüfbare Gesamtreduktionsgröße vorgegeben, die sie - auch auf Kosten grundrechtlich geschützter Freiheit - einzuhalten hätten. Eine solche landesspezifische Reduktionsmaßgabe sei derzeit weder dem Grundgesetz noch dem einfachen Bundesrecht zu entnehmen. Eine Verletzung der gegenüber den Beschwerdeführenden bestehenden Schutzpflichten vor den Gefahren des Klimawandels aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG könne nach der Entscheidung des Senats angesichts der bereits existierenden gesetzlichen Regelung auf Bundesebene derzeit nicht festgestellt werden. Es sei nicht ersichtlich, dass das Fehlen eines Landesklimaschutzgesetzes hieran etwas ändern könnte.

Miriam Montag, 4. Juli 2022 (ergänzt durch Material der dpa).