DICO-Vorschlag für neue Abgeordnetenregeln: "Korruption auch außerhalb des Mandats bestrafen"

Seit dem BGH-Beschluss zur Maskenaffäre ist klar, dass es eine Strafbarkeitslücke gibt. Eine Arbeitsgruppe "Compliance in der Politik" will bestechliche Abgeordnete sanktionieren, ohne zu stark zu kriminalisieren. An dem Projekt arbeiten vor allem junge Politikerinnen und Politiker.

 

beck-aktuell: Die Arbeitsgruppe "Compliance in der Politik" des Deutschen Instituts für Compliance (DICO) hat am Donnerstag einen Vorschlag vorgelegt, um die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechlichkeit und Bestechung neu zu regeln. Sie sind Mitglied des Beirats. Was schlagen Sie vor?

Michael Kubiciel: Unser Diskussionsvorschlag sieht vor, einen neuen § 108f StGB zu schaffen, der die pflichtwidrige Vorteilsgewährung an bzw. Vorteilsannahme durch Mandatsträger unter Strafe stellt.

Erfasst wird damit, wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er unter Verletzung seiner Pflichten als Mitglied einer Volksvertretung eine Handlung vorgenommen oder unterlassen hat oder künftig vornehmen oder unterlassen werde. Spiegelbildlich gilt das natürlich auch für diejenigen, die solche Vorteile Mandatsträgern in Aussicht stellen.

"Kriminalisieren, was die Abgeordneten sich selbst verboten haben"

beck-aktuell: Harte Strafen also für Politikerinnen und Politiker, die mithilfe ihrer Abgeordnetentätigkeit viel Geld verdienen? Anlass für Ihren Vorschlag war schließlich die neue BGH-Rechtsprechung zur sogenannten Maskenaffäre, die die damaligen Abgeordneten Alfred Sauter und Georg Nüßlein (beide CSU) vom Vorwurf der Bestechlichkeit befreite.

Kubiciel: § 108e StGB (Anm. d. Red.: Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern) setzt aktuell voraus, dass die Korruption "die Wahrnehmung des Mandats" betrifft. Nach der von Ihnen angesprochenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das eng zu verstehen: Das Begriffsverständnis von Mandat und damit die Verbotszone soll nur den engeren parlamentarischen Rahmen erfassen, nicht aber das außerparlamentarische Verhalten, selbst wenn der Mandatsträger als solcher auftritt und handelt. Diese auch vom BGH angesprochene Strafbarkeitslücke soll geschlossen werden.

Wir wollen aber eine Überkriminalisierung verhindern, die durch eine Erweiterung des Verbrechenstatbestands des § 108e StGB entstehen könnte. Wir stellen diesem scharf sanktionierten Verbrechenstatbestand mit seinem besonderen Unrecht deshalb ein weiter gefasstes Vergehen an die Seite. Das entspricht auch der Systematik der Amtsträgerbestechungsdelikte (§§ 331 ff. StGB), die zwischen Bestechung und Vorteilsgewährung unterscheiden.

Allerdings versucht unser Vorschlag, den Unterschieden zwischen Amts- und Mandatsträgern durch die Akzessorietät zum Abgeordnetenrecht Rechnung zu tragen. Letztlich wird nur das kriminalisiert, was nach dem Abgeordnetenrecht sowieso verboten ist. Die Norm stellt nur unter Strafe, was sich die Abgeordneten selbst auferlegt haben.   

"Tolle politische und individuelle Bandbreite"

beck-aktuell: Der Arbeitsgruppe gehören vor allem junge Politikerinnen und Politiker an, Vertreter der Grünen Jugend, der Jungen Liberalen, der Jungen Union, der Jusos und der links jugend waren beteiligt. Wie kam es zu dem Projekt?

Kubiciel: Die Arbeitsgruppe kam auf Initiative meines Kollegen Georg Gößwein vom DICO zustande. Da ich im Beirat von DICO sitze und schon länger zu Compliance in der Politik arbeite, hat er mich angesprochen und gemeinsam sind wir auf die Idee gekommen, eine AG mit Nachwuchspolitikerinnen und -politikern zu gründen.

Nicht nur, weil wir dadurch politiknäher und praxisorientierter diskutieren, sondern auch weil uns die Haltung der jüngeren Generation interessiert hat. Letztlich kam so eine parteiübergreifende Gruppe zusammen, die vom jungen Landtagsabgeordneten bis zur Wissenschaftlichen Mitarbeiterin im Bundestag eine tolle politische und individuelle Bandbreite aufweist.

"In der Politik gelten aus guten Gründen andere Regeln"

beck-aktuell: Die Arbeitsgruppe ist also auf Dauer angelegt? Was versprechen Sie sich davon?

Kubiciel: Zunächst wollen wir uns einfach nur austauschen und sehen, ob und wie der Gedanke der Compliance auf das politische Feld übertragen werden kann. Das Strafrecht spielt in unseren Diskussionen eine eher untergeordnete Rolle. Es geht eher um Strukturfragen, da Compliance-Anforderungen und Mechanismen ja nicht unverändert einfach von der Welt der Unternehmen oder Verwaltungen auf die Politik übertragen werden können. In der Politik gelten aus guten Gründen andere Regeln, die man berücksichtigen muss.

Gleichzeitig sehen gerade die Jüngeren in der Politik, dass es ohne Compliance nicht geht, da Skandale und Fehlverhalten Einzelner auch ganze Parteien treffen und letztlich unserer Demokratie schaden.

beck-aktuell: Wird ein solcher Vorschlag denn vom Gesetzgeber wahrgenommen, können Sie diesen an geeigneter Stelle präsentieren?

Kubiciel: Wir hoffen natürlich, dass der Vorschlag zumindest gelesen wird. Klar ist uns aber: Entschieden wird im Parlament.

beck-aktuell: Arbeiten Sie denn schon an Ideen für eine zivilrechtliche Haftung von Ministerinnen und Ministern?

Kubiciel: Auch darüber werden wir sicherlich in einer der nächsten Sitzungen reden. Ich bin allerdings sehr skeptisch, ob es unserem politischen System guttäte, die zivilrechtliche Haftung von Ministerinnen oder Ministern auszuweiten. Wie gesagt: In der Politik gelten aus guten Gründen andere Regeln. Politik arbeitet steht ins Offene hinein und sollte nicht durch eine drohende Haftung gelähmt werden. Minister müssten dann vor vielen Entscheidungen Rechtsgutachten einholen, was sicher keine gute Entwicklung wäre.

 

Prof. Dr. Dr. hc. Michael Kubiciel ist Direktor des Instituts für die gesamte Strafrechtswissenschaft der Universität Augsburg. Seine Forschungs- und Tätigkeitsschwerpunkte liegen im nationalen und internationalen Wirtschaftsstrafrecht, er berät unter anderem den nationalen Gesetzgeber, internationale Organisationen und die EU-Kommission.

Den Vorschlag der DICO-Arbeitsgruppe hat er ausführlich vorgestellt in ZRP 2023, 47

Redaktion beck-aktuell, Pia Lorenz, Chefredakteurin beck-aktuell, 14. August 2023.