Deutsche Justiz auf dem Prüfstand: ROLAND Rechtsschutz veröffentlicht den Rechtsreport 2023

Wie steht es um das Vertrauen der Bürger in das deutsche Rechtssystem? Dieser und weiteren Fragen geht der ROLAND Rechtsreport auf den Grund, den das Institut für Demoskopie Allensbach durchführt. Im Hinblick auf die Gesetze und Gerichtsbarkeit zeigt sich auch in der diesjährigen Studie ein konstant hohes Niveau: 70% der Bürger haben sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Gesetze, 69% in die Gerichte. Aber: Sie äußern auch deutliche Kritik.

Drei Viertel der Deutschen halten die Gerichte für überlastet

So halten 75% der Befragten die deutschen Gerichte für überlastet, 80% kritisieren die lange Dauer von Gerichtsverfahren. "Zudem haben sich die Probleme in der Wahrnehmung der Bevölkerung verschärft, denn vor zehn Jahren lagen die Werte hier noch bei 64% beziehungsweise 77%", erklärt Ulrich Eberhardt, Vorstand von ROLAND Rechtsschutz. Weiterhin bemängeln die Befragten eine uneinheitliche Rechtsprechung und dass die Gesetze zu kompliziert und schwer zu verstehen sind. 45% halten die Urteile für zu milde. Über die Hälfte (59%) ist zudem der Meinung, dass man seine Chancen auf ein günstiges Gerichtsurteil erhöht, wenn man sich einen bekannten Anwalt leisten kann. Gegenüber diesen kritischen Stimmen sind positive Aussagen zur deutschen Justiz in der Minderheit. Immerhin 33% geben an, dass sie großen Respekt vor Richterinnen und Richtern haben. 28% finden, dass die Gerichte gewissenhaft und gründlich arbeiten.

Immer weniger Menschen ziehen vor Gericht

Den Weg zu Gericht schlagen deutlich weniger Menschen ein als früher: 22% der Befragten geben an, in den letzten zehn Jahren als Zeuge, Kläger oder Beklagter an einem Gerichtsprozess beteiligt gewesen zu sein. Zwischen 2011 und 2015 waren es noch 29%. "Ein möglicher Grund für diese rückläufige Tendenz ist die Sorge vor hohen Verfahrens- und auch Anwaltskosten", sagt Eberhardt. So sind bei einer mittleren Schadenssumme von 600 Euro nur vier von zehn Bürgerinnen und Bürgern gewillt, vor Gericht zu ziehen. 27% würden es wahrscheinlich nicht tun und 33% sind unentschieden. Interessanterweise zeigt die Studie, dass das Einkommen diese Entscheidung nicht beeinflusst. Hingegen ist die Unterstützung durch einen Rechtsschutz-Versicherer ein klarer Einflussfaktor: Während 47% der Personen mit einer Rechtsschutz-Versicherung bei einem Schaden von 600 Euro prozessieren würden, sind es bei den Menschen ohne Rechtsschutz-Versicherung nur 29%.

Justiz kritisiert eigene personelle und technische Ausstattung

Eine überlastete Justiz nehmen nicht nur die Bürgerinnen und Bürger wahr: Auch die Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte teilen diese Einschätzung. Zum dritten Mal nach 2013 und 2018 haben ROLAND Rechtsschutz und das Institut für Demoskopie Allensbach auch ein repräsentatives Meinungsbild dieser Gruppe ermittelt. Konkret halten 78% der Richterschaft und sogar 92% der Staatsanwaltschaft ihre Dienststellen für personell schlecht ausgestattet. Die technische Ausstattung halten 67% für eher schlecht oder sehr schlecht. Und über die Hälfte der Richterinnen und Richter und 72% der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben dem eigenen Empfinden nach nicht genügend Zeit für ihre Rechtsfälle.

Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr?

Neben der hohen Arbeitslast bemerken die Befragten auch strukturelle Risiken im Hinblick auf das deutsche Justizsystem: 67% sehen die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr, wenn in Deutschland – ähnlich wie in Ungarn oder Polen – eine Regierung ins Amt käme, die versuchen würde, ihre Unabhängigkeit einzuschränken. Nur knapp jeder Dritte hält die Justizstrukturen hierzulande für widerstandsfähig gegen solche Angriffe. Im Gegensatz dazu sehen die Befragten in der medialen Berichterstattung und im öffentlichen Erwartungsdruck mehrheitlich keine große oder gar keine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt laut Bevölkerung immer schwächer

Worauf die mediale Berichterstattung hingegen einen Einfluss zu haben scheint, ist die allgemeine Wahrnehmung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. So zeigt der ROLAND Rechtsreport 2023 im Rahmen seines aktuellen Schwerpunktthemas: 65% der Bürgerinnen und Bürger halten den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft aktuell für schwach oder sehr schwach – lediglich 22% empfinden ihn als stark oder sehr stark. Der Eindruck, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt schwächer wird, hält bereits seit Jahren an, hat zuletzt jedoch an Dynamik gewonnen: Bewerteten 2016 nur 58% und 2018 nur 56% den Zusammenhalt als gering, sind es aktuell 65%.

Vertrauen ins Rechtssystem leidet unter Polarisierung der Gesellschaft

Die zunehmende Polarisierung politischer Diskussionen – zum Beispiel während der Flüchtlingskrise oder Corona-Pandemie – hat anscheinend dazu beigetragen, dass drei Viertel der Befragten finden, dass die verbindenden Elemente in der Gesellschaft in den letzten Jahren abgenommen haben. "Hier haben wir schon im ROLAND-Rechtsreport 2022 erfahren, dass das hohe Tempo gesellschaftlicher Umbrüche durchaus mit einer Verringerung des Vertrauens in staatliche Institutionen und insbesondere solche, die Informationen bereitstellen, einhergeht. Diese Indikation scheint sich nun zu bestätigen", so Eberhardt weiter.

Neben sozialer Schicht und Vermögen auch politische Einstellung ein trennender Faktor

Nach den trennenden und unterscheidenden Elementen gefragt, nennen 71% die soziale Schicht, der man angehört, 70% Einkommen und Vermögen, 62% die Herkunft. Ebenfalls 62% finden, dass die Einstellung zu geflüchteten Personen und Zuwanderern die Menschen trennt sowie die politische Einstellung (60%). Während die soziale Schicht beziehungsweise Besitz und Vermögen bereits seit vielen Jahren als trennende Faktoren empfunden werden, gilt dies erst seit 2015 für die politische Einstellung. Zusätzlich halten die Befragten Maßnahmen, die zu mehr Gleichheit und weniger Diskriminierung beitragen sollen, oftmals für kontraproduktiv. So denken 51%, dass beispielsweise Antidiskriminierungsgesetze und eine gendergerechte Sprache eher Polarisierungen und Fragmentierungen in der Gesellschaft verstärken.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 6. März 2023.