Der Kampf um die Waf­fen­gleich­heit in Eil­ver­fah­ren

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat in jün­ge­rer Zeit mehr­fach das Recht auf Waf­fen­gleich­heit beim Rin­gen um einst­wei­li­ge Ver­fü­gun­gen ge­stärkt. Die Ent­schei­dun­gen, die sich zudem auf das Recht auf ein fai­res Ver­fah­ren und auf recht­li­ches Gehör stütz­ten, haben al­ler­dings auch zu Un­si­cher­heit und Kon­tro­ver­sen ge­führt – Kri­ti­ker arg­wöh­nen be­reits ein Zu­rück­ru­dern. Der Hin­ter­grund: Man­che Zi­vil­ge­rich­te hat­ten vor allem im Wett­be­werbs- und im Pres­se­recht immer wie­der An­trä­gen statt­ge­ge­ben, ohne vor­her den Geg­ner an­zu­hö­ren. Aber auch das Wett­be­werbs­recht ist be­trof­fen.

Wo­chen­lang keine Zeit zum Ver­han­deln

Was auf den ers­ten Blick wie eine Nie­der­la­ge in Karls­ru­he aus­sah, löste ein klei­nes Beben aus: Als der "Spie­gel" über du­bio­se Ge­schäfts- und Steu­er­prak­ti­ken im Pro­fi­fuß­ball sowie über die Zu­stän­de in einem Heim für ju­gend­li­che Flücht­lin­ge be­rich­tet hatte, un­ter­sag­te ihm die Pres­se­kam­mer des Land­ge­richts Ham­burg per einst­wei­li­ger Ver­fü­gung die Ver­öf­fent­li­chung und Ver­brei­tung meh­re­rer Pas­sa­gen der bei­den Ar­ti­kel. Zuvor habe sie den An­trag­stel­lern Tipps ge­ge­ben, mo­nier­te der Ver­lag. Über­dies ließ sie sich drei­ein­halb be­zie­hungs­wei­se fünf Wo­chen Zeit für ihre Ent­schei­dun­gen, setz­te aber keine münd­li­che Ver­hand­lung an, um dem Pres­se­haus eine Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me zu geben. Auch des­sen Wi­der­spruch schmet­ter­ten die han­sea­ti­schen Zi­vil­rich­ter ab; die Ver­fas­sungs­be­schwer­den wur­den im Jahr 2017 eben­falls nicht zur Ent­schei­dung an­ge­nom­men. Doch ne­ben­her wies die 3. Kam­mer des Ers­ten Se­nats auf eine Rechts­schutz­mög­lich­keit hin, die in Pres­se­sa­chen bis dahin nicht zum üb­li­chen In­stru­men­ta­ri­um zähl­te – näm­lich die Er­he­bung einer Ver­fas­sungs­be­schwer­de un­mit­tel­bar gegen eine einst­wei­li­ge Ver­fü­gung, um die Miss­ach­tung von Ver­fah­rens­grund­rech­ten zu rügen.

Pres­se­rich­ter in Schran­ken ge­wie­sen

In fol­gen­den Jahr be­fass­te sich die­sel­be Kam­mer des BVerfG zwei­mal mit sol­chen Fäl­len; beide Male gab sie - mit teil­wei­se glei­chem Wort­laut - den Me­di­en­un­ter­neh­men Recht. Ein­mal ging es um ein Re­cher­chen­etz­werk, das im In­ter­net einen un­lieb­sa­men Bei­trag mit Kor­rup­ti­ons­vor­wür­fen gegen ein Un­ter­neh­men im Zu­sam­men­hang mit dem Ver­kauf von U-Boo­ten ins eu­ro­päi­sche Aus­land pu­bli­ziert hatte; das LG Köln er­ließ hier­ge­gen eine einst­wei­li­ge Ver­fü­gung, ohne sie zu be­grün­den oder die Be­schwer­de­füh­rer vor­her an­zu­hö­ren. Der zwei­te Fall be­traf einen Ar­ti­kel über einen Fern­seh­mo­de­ra­tor. Darin wurde er­ör­tert, in­wie­weit die­ser als Ei­gen­tü­mer und Ver­mie­ter einer Yacht ein Steu­er­spar­mo­dell nutz­te. Die Ver­fas­sungs­rich­ter wie­sen das Ober­lan­des­ge­richt Ham­burg in seine Schran­ken, das das Ma­ga­zin zum Ab­druck einer Ge­gen­dar­stel­lung ver­pflich­tet hatte. Auch hier hatte es dem An­trag­stel­ler am Te­le­fon wie­der­holt recht­li­che Hin­wei­se er­teilt, ohne sie auch dem Ver­lag zur Kennt­nis zu brin­gen: Der er­fuhr mit der Zu­stel­lung des Be­schlus­ses über­haupt erst­mals von dem Ge­richts­ver­fah­ren gegen ihn.

"Ein­sei­ti­ge Ge­heim­ver­fah­ren"

Die Re­ak­ti­on in der Fach­welt fiel dras­tisch aus. Es ge­rei­che dem LG Köln und dem OLG Ham­burg nicht zur Ehre, schrieb etwa Prof. Dr. Her­bert Roth in der NJW, dass die Karls­ru­her Kam­mer in den bei­den Be­schlüs­sen auf die pro­zes­sua­le Rechts­la­ge und sogar auf die Un­ver­ein­bar­keit von "ein­sei­ti­gen Ge­heim­ver­fah­ren" mit den Grund­rech­ten habe hin­wei­sen müs­sen. "Das BVerfG hat dem be­ein­träch­tig­ten An­trags­geg­ner erst­mals ein schar­fes Schwert in die Hand ge­ge­ben: Gegen eine statt­ge­ben­de e. V. (Un­ter­las­sungs­an­spruch/Ab­druck einer Ge­gen­dar­stel­lung) ist die un­mit­tel­ba­re Ver­fas­sungs­be­schwer­de zu­läs­sig." Sie könne zu der Fest­stel­lung füh­ren, dass die e. V. das Recht des Be­schwer­de­füh­rers in sei­nem grund­rechts­glei­chen Recht auf pro­zes­sua­le Waf­fen­gleich­heit ver­letzt: "Die neue Recht­spre­chung geht weit über das Pres­se­recht hin­aus und be­trifft auch einst­wei­li­ge Ver­fü­gun­gen im Recht des UWG, des ge­werb­li­chen Rechts­schut­zes und des Ur­he­ber­rechts." Dort, so Roth, hät­ten sich wohl eben­falls über Jahre hin­weg ver­gleich­ba­re Ten­den­zen zur Ver­kür­zung der pro­zes­sua­len Rech­te der An­trags­geg­ner ver­ste­tigt, die unter Um­stän­den bis zur rechts­miss­bräuch­li­chen Ti­tel­er­schlei­chung ge­führt hät­ten.

An­zei­chen von Zu­rück­hal­tung

Im Jahr 2019 lan­de­ten in zwei (teil­wei­se um­fang­rei­chen) Strei­tig­kei­ten ein­schlä­gi­ge Ver­fas­sungs­be­schwer­den vor der 2. Kam­mer des Ers­ten Se­nats. Nun klang der Tenor etwas zu­rück­hal­ten­der: Für einen Er­folg in Karls­ru­he müsse ein hin­rei­chend ge­wich­ti­ges Fest­stel­lungs­in­ter­es­ses, etwa eine Wie­der­ho­lungs­ge­fahr, gel­tend ge­macht wer­den, ju­di­zier­te sie zu Ver­fah­ren vor dem LG Frank­furt a. M. und dem LG Ham­burg. Im ver­gan­ge­nen Jahr schien das BVerfG aber zu­nächst wei­ter Kurs zu­hal­ten: Es er­ließ sogar einst­wei­li­ge An­ord­nun­gen gegen zi­vil­ge­richt­li­che Ver­fü­gungs­be­schlüs­se des LG Ber­lin. Hier strit­ten sich im einen Fall zwei Po­li­zei­ge­werk­schaf­ten um eine Äu­ße­rung im Rah­men der Vor­be­rei­tung der Per­so­nal­rats­wah­len bei der Bun­des­po­li­zei in der Co­ro­na-Pan­de­mie. In dem an­de­ren ging es um einen Be­richt über einen Mann, der ma­ß­geb­lich an der Ver­öf­fent­li­chung des Vi­de­os be­tei­ligt war, das zu dem Rück­tritt des ös­ter­rei­chi­schen Po­li­ti­kers Heinz-Chris­ti­an Stra­che führ­te.

"Schleu­nigst zu­rück­ge­ru­dert"

Doch dann ris­sen die Rich­ter das Steu­er herum. "Mitt­ler­wei­le hat das BVerfG wohl er­kannt, dass es mit sei­nen Ent­schei­dun­gen vom Juni 2020 eine Flut von Ver­fas­sungs­be­schwer­den bzw. An­trä­gen nach § 32 BVerf­GG pro­vo­zie­ren wird", schrie­ben Dr. Mat­thi­as Rin­ger und Dr. Dirk Wie­de­mann in der GRUR-Prax: "Schleu­nigst ist man in Karls­ru­he des­halb zu­rück­ge­ru­dert." So wurde ein An­trag auf Er­lass einer einst­wei­li­gen An­ord­nung mit knap­per Be­grün­dung ab­ge­lehnt: Die Zei­tung taz habe die Nach­richt über einen an­geb­li­chen frü­he­ren Mit­glieds­an­trag eines da­ma­li­gen AfD-Po­li­ti­kers in einer rechts­ex­tre­men Ver­ei­ni­gung be­reits rich­tig­ge­stellt und wolle sie künf­tig in die­ser Form auch nicht mehr ver­brei­ten; somit sei sie durch die Un­ter­las­sungs­ver­pflich­tung des LG Ham­burg nicht be­las­tet. "Damit fehlt es je­doch an einem schwer­wie­gen­den in­halt­li­chen Ein­griff in ihre Be­richt­erstat­tungs­frei­heit, der für den Er­lass einer einst­wei­li­gen An­ord­nung er­for­der­lich wäre."

Neues Rechts­ge­biet er­fasst

In einem spä­te­ren Rechts­streit er­streck­ten sie ihre Grund­sät­ze zur Waf­fen­gleich­heit zwar sogar auf das Lau­ter­keits­recht (ein Den­tal­dienst­leis­ter wehr­te sich gegen Be­an­stan­dun­gen eines Test­käu­fers), ver­miss­ten je­doch ein "hin­rei­chend ge­wich­ti­ges Fest­stel­lungs­in­ter­es­se". Gleich drei Tage spä­ter ging es so wei­ter: Ein In­ter­net­por­tal für die Suche nach Steu­er­be­ra­tungs­dienst­leis­tun­gen wurde von einem Kon­kur­ren­ten wegen an­geb­li­cher Ver­stö­ße gegen StBerG, Be­rufs­ord­nung und UWG ab­ge­mahnt; das LG Köln ver­don­ner­te es zur Un­ter­las­sung, wobei es ein­sei­tig den An­trag­stel­ler be­riet. Den­noch kam die 2. Kam­mer des Ers­ten Se­nats zu dem Schluss: "Die pro­zes­sua­len Rech­te des An­trags­geg­ners wer­den nicht ver­letzt, wenn der Ver­fü­gungs­an­trag zu­nächst von der Ab­mah­nung ab­weicht, dann aber die Kon­gru­enz her­ge­stellt wird und die er­las­se­ne Ver­fü­gung mit der Ab­mah­nung iden­tisch ist."

Neue Hür­den vor Karls­ru­he

Vier wei­te­re Ju­di­ka­te hat es seit­her bis­lang ge­ge­ben. Im Sep­tem­ber 2020 be­fand die 3. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats zum Zwist zwi­schen Mit­glie­dern eines Stif­tungs­rats: Für die Dar­le­gung eines schwe­ren Nach­teils im Sinne von § 32 Abs. 1 BVerf­GG rei­che es nicht aus, wenn die Un­ter­las­sungs­schuld­ne­rin auf die fort­ge­setz­te Be­las­tung durch einen Un­ter­las­sungs­ti­tel hin­weist. Viel­mehr müsse sie dar­le­gen, an wel­chem kon­kre­ten Ver­hal­ten sie vor einer Ent­schei­dung des LG Stutt­gart über ihren Wi­der­spruch ge­hin­dert werde. So­dann schei­ter­te aber­mals und mit der­sel­ben Be­grün­dung wie zuvor der Ex-AfD-Po­li­ti­ker: "Auch bei of­fen­kun­di­ger Er­folgs­aus­sicht einer Ver­fas­sungs­be­schwer­de setzt der Er­lass einer einst­wei­li­gen An­ord­nung die Dar­le­gung eines schwer wie­gen­den Nach­teils vor­aus." Im De­zem­ber schmet­ter­ten die Rich­ter fer­ner die Ver­fas­sungs­be­schwer­de eines ös­ter­rei­chi­schen Her­stel­lers von Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln ab, den ein Wett­be­werbs­ver­ein ab­ge­mahnt hatte. Zur Be­grün­dung führ­ten sie gleich meh­re­re Punk­te an. So lasse sich ein wahr­heits­wid­ri­ger Vor­trag der Ge­gen­sei­te auch noch im Haupt­sa­che­ver­fah­ren vor dem LG Ber­lin kor­ri­gie­ren. Eine ge­ziel­te Ge­hörs­ver­ei­te­lung des Kon­tra­hen­ten stel­le kei­nen Ver­stoß gegen die pro­zes­sua­le Waf­fen­gleich­heit von Sei­ten des Ge­richts dar. Ab­wei­chun­gen zwi­schen dem au­ßer­ge­richt­lich gel­tend ge­mach­ten Un­ter­las­sungs­ver­lan­gen und dem ge­stell­ten Ver­fü­gungs­an­trag stell­ten sich als ge­ring dar, wenn das be­an­trag­te Ver­bot als "Minus" be­reits in dem au­ßer­ge­richt­li­chen Un­ter­las­sungs­ver­lan­gen ent­hal­ten war. Und die recht­li­che Be­grün­dung der Ab­mah­nung müsse nicht mit der An­trags­be­grün­dung iden­tisch sein, wenn der Ver­fü­gungs­an­trag den au­ßer­ge­richt­lich gel­tend ge­mach­ten Streit­ge­gen­stand nicht ver­lässt.

Ge­dulds­fa­den ge­ris­sen

Streng mit den Pres­se­rich­tern gin­gen die Ver­fas­sungs­hü­ter hin­ge­gen schlie­ß­lich zwei Tage vor Hei­lig­abend im Fall eines ehe­ma­li­gen Pro­fi­fuß­bal­lers um, der wegen Be­sitz und Ver­brei­tung kin­der­por­no­gra­phi­scher Schrif­ten an­ge­klagt ist; auch das zu­stän­di­ge AG hatte sei­nen Namen in einer Pres­se­er­klä­rung ge­nannt. Ein Bou­le­vard­blatt ver­öf­fent­lich­te dar­auf Zi­ta­te aus sei­nen Ein­las­sun­gen vor den Er­mitt­lern. Auch hier gab das LG Ber­lin nur dem eins­ti­gen Na­tio­nal­spie­ler Rat­schlä­ge, um sei­nen An­trag nach­zu­bes­sern. Doch da riss der Karls­ru­her Kam­mer der Ge­dulds­fa­den: Eine Ein­be­zie­hung der Be­schwer­de­füh­re­rin durch das Ge­richt vor Er­lass der Ver­fü­gung wäre of­fen­sicht­lich ge­bo­ten ge­we­sen, be­fand sie. Eine sol­che Frist zur Stel­lung­nah­me hätte zwar kurz be­mes­sen sein kön­nen. Aber es sei un­zu­läs­sig, wegen einer be­fürch­te­ten Ver­zö­ge­rung hier­durch - "oder wegen einer durch die Stel­lung­nah­me er­for­der­li­chen, ar­beits­in­ten­si­ven Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Vor­trag des An­trags­geg­ners" - be­reits in einem frü­hen Ver­fah­rens­sta­di­um gänz­lich von sei­ner Ein­be­zie­hung ab­zu­se­hen.

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 24. Februar 2021.

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