"Der juristisch kompetenteste Nichtjurist der Republik" - Nachruf auf Rolf Lamprecht

Rolf Lamprecht war "über viele Jahrzehnte das Maß aller Dinge in der Bundesrepublik", sagte einst Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Nun ist der bedeutende Rechtsjournalist, der sich als Berichterstatter und Experte für die Obersten Gerichtshöfe des Bundes in Karlsruhe einen Namen gemacht hat, im Alter von 91 Jahren in seinem Zuhause im badischen Neusatz verstorben. Wir nehmen dies zum Anlass, um an sein Leben und sein Werk zu erinnern.

"Der juristisch kompetenteste Nichtjurist der Republik"

Er sei "der juristisch kompetenteste Nichtjurist der Republik" gewesen, urteilt die Zeitschrift "Der Spiegel" und würdigt so ihren ehemaligen Karlsruhe-Korrespondenten post mortem. In dieser Funktion hatte Lamprecht von 1968 bis 1998 über alle großen Prozesse der Bundesgerichte in Deutschland berichtet und sich als Rechtsjournalist einen Namen gemacht. Begonnen hatte er seine Karriere rund 15 Jahre vorher beim "Tagesspiegel" in Berlin, wo er im Anschluss an sein Politikstudium - Schwerpunkt Verfassungspolitik und Verfassungsrecht - als Justizreporter einstieg. Anschließend arbeitete er zunächst als Leiter des Ressorts Rechtspolitik bei der "Berliner Morgenpost", wurde Redaktionsdirektor bei der Wochenzeitschrift "DM" (heute: "Euro") in Stuttgart, schrieb für die Satirezeitschrift "Pardon" in Frankfurt und verfasste Kommentare und Abhandlungen für die "Neue Juristische Wochenschrift", die "Zeitschrift für Rechtspolitik" und die "Deutsche Richterzeitung".

Mitbegründer der Justizpressekonferenz

Lamprecht war 1975 außerdem Mitbegründer der Justizpressekonferenz Karlsruhe, einer unabhängigen Arbeitsgemeinschaft von Journalistinnen und Journalisten, die über das Bundesverfassungsgericht, den Bundesgerichtshof, die Bundesanwaltschaft und über rechtspolitische Fragen berichten. Anlass für die Gründung des Vereins sei ein Maulkorb gewesen, den der damalige Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel dem damaligen Bundesgeneralanwalt Siegfried Buback verpasst hatte, weil ihm Bubacks freimütiger Umgang mit der Öffentlichkeit missfiel, erinnert sich "Der Spiegel". Buback habe daraufhin Lamprecht vorgeschlagen, "etwas Ähnliches wie die Bundespressekonferenz" zu gründen und hinzugefügt: "Sie laden mich ein, da kann ich natürlich nicht Nein sagen." So sei Lamprecht zunächst Vorsitzender und später Ehrenvorsitzender der Justizpressekonferenz geworden.

"Abweichende Meinungen und ihre Bedeutung für die Rechtskultur"

Seine Bestimmung fand Lamprecht jedoch als Berichterstatter und Experte für die Obersten Gerichtshöfe des Bundes in Karlsruhe. 1992 promovierte er an der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg über "Abweichende Meinungen und ihre Bedeutung für die Rechtskultur" – ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. Er verfasste kluge und kritische Werke, unter anderem die Bücher "Vom Mythos der Unabhängigkeit", "Zur Demontage des Bundesverfassungsgerichts" und "Die Lebenslüge der Juristen: Warum Recht nicht gerecht ist". In seinem letzten Buch "Ich gehe bis nach Karlsruhe" schildert Lamprecht anhand der bis dato neun Präsidentschaften die Geschichte des Bundesverfassungsgerichts und zeigt die Bedeutung der Karlsruher Urteile für das öffentliche Leben in der Bundesrepublik auf. Zur Veröffentlichung des Buches hielt der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle 2011 die Laudatio, aus der auch das Eingangszitat stammt. Im Jahr 1999 wurde Lamprecht für sein Werk mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet.

"Schreibend denken, denkend schreiben"

"Schreibend denken, denkend schreiben", so habe sich Lamprecht selbst gesehen, schreibt die "Süddeutsche Zeitung" in ihrem Nachruf. Noch im November letzten Jahres habe er – seinem hohen Alter zum Trotz – verkündet: "Schreiben geht immer". Getreu diesem Motto hat Lamprecht im vergangenen Herbst seinen letzten großen Artikel für den "Spiegel" geschrieben. Das Thema hätte passender nicht sein können: Anlässlich des 70-jähigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts blickt Lamprecht auf zentrale Urteile - von Abtreibung über KPD-Verbot bis zu "Soldaten sind Mörder" - zurück. "Urteile, die unser Leben verändert haben", schreibt Lamprecht und meint damit vielleicht auch ganz besonders sein eigenes Leben, das nun am vergangen Donnerstag zu Ende ging. Sein privates Jubiläum, seinen 70. Hochzeitstag, kann Lamprecht im April dieses Jahres leider nicht mehr feiern.

Miriam Montag, Mitglied der Redaktion beck-aktuell, 28. März 2022.