Der Ampel-Koalitionsvertrag steht
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Eine wesentliche Hürde für die Bildung der ersten bundesweiten Ampel-Koalition ist genommen. SPD, Grüne und FDP haben am Mittwoch die Verhandlungen über den Koalitionsvertrag abgeschlossen. Zwei Monate nach der Bundestagswahl legten sie damit den Grundstein für die erste Ampel-Bundesregierung. Nun sind die Parteimitglieder am Zug. Die Grünen starten bereits heute eine Urabstimmung. Bei SPD und FDP sollen Anfang Dezember Parteitage den Vertrag absegnen.

"Mehr Fortschritt wagen"

"Mehr Fortschritt wagen: Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" lautet der Titel des 177 Seiten starken Koalitionsvertrages. "Uns eint der Wille, das Land besser zu machen", sagte der designierte neue Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Es gehe nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, "sondern um eine Politik der großen Wirkung", sagte Scholz. Nach dem Zeitplan der drei Parteien soll Scholz in der Woche ab dem 06.12.2021 im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26.09.2021 nicht wieder kandidiert hatte. Deutschland steht vor einer politischen Zäsur. Obwohl in den Koalitionsverhandlungen alle Parteien Abstriche von ihren Positionen machen und Kompromisse eingehen mussten, zeigte sich Scholz am Mittwochabend in einem ARD-"Brennpunkt" zuversichtlich, dass der Vertrag von allen Parteien gebilligt werden wird.

Parteien müssen Vertrag noch absegnen

Als ein "Dokument des Mutes und der Zuversicht" bezeichnete der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck den Koalitionsvertrag. "Das Leitbild dieser Regierung ist eine handelnde Gesellschaft, ein investierender Staat und ein Deutschland, das schlichtweg funktioniert." Den Auftakt der Urabstimmung bei den Grünen bildet heute Nachmittag ein Bund-Länder-Forum in Berlin, bei dem die Ergebnisse diskutiert werden. Ihre 125.000 Mitglieder sollen nicht nur über die Vereinbarungen der potenziellen Regierungspartner abstimmen, sondern auch über das Personaltableau der Grünen für das künftige Kabinett. Die personelle Aufstellung soll zum Start der Urabstimmung bekanntgegeben werden. Interessant wird sein, ob die Mitglieder insbesondere die Vereinbarungen zum Klimaschutz als ausreichend erachten oder nicht. Bei SPD und FDP sollen Anfang Dezember Parteitage den Vertrag absegnen. FDP-Chef Christian Lindner betonte: "Was jetzt gebildet wird, ist eine Regierung der Mitte, die das Land nach vorn führt."

Hartz IV, Mieten, Schuldenbremse: Das sind die geplanten Sozialreformen

Hartz IV abschaffen, die Renten sichern und den Mindestlohn erhöhen - mit Sozialreformen will die Ampel den Menschen Sicherheit geben. So ist im Koalitionsvertrag unter anderem eine Verlängerung der Mietpreisbremse festgeschrieben: In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu 11% steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15%. Die Parteien verständigten sich zudem auf die Bildung eines neuen Bundesministeriums für Bauen. In der Finanzpolitik vereinbarten SPD, Grüne und FDP, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten. Der Bund der Steuerzahler begrüßte diese Ankündigung im Grundsatz, vermisse allerdings ein klares Bekenntnis, dass die Verschwendung von Steuergeld konsequent verfolgt und bestraft werden solle. Den gesetzlichen Mindestlohn wollen SPD, Grüne und FDP von jetzt 9,60 Euro auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Wer im Homeoffice arbeitet, soll auch im kommenden Jahr noch eine besondere Pauschale bei der Steuererklärung geltend machen können. Im Übrigen soll das Mindestalter für die Teilnahme an Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahre und das Mindestalter zum Erwerb eines Pkw-Führerscheins gesenkt werden und begleitetes Fahren bereits ab 16 statt wie bisher mit 17 Jahren ermöglicht werden.

Neue Klimaziele

Vorgesehen ist auch eine Erweiterung des Wirtschaftsministeriums um das Thema Klimaschutz. Bis 2030 soll Deutschland außerdem 80% seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Stromkunden sollen entlastet werden, indem zum 01.01.2023 die Finanzierung der milliardenschweren EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms über den Strompreis abgeschafft wird. Die Ampel-Parteien wollen zudem den öffentlichen Nahverkehr stärken und dazu vom kommenden Jahr an die sogenannten milliardenschweren Regionalisierungsmittel erhöhen. Die Lademöglichkeiten für Elektroautos sollen schneller ausgebaut werden. Zwischen den größten Städten sollen Züge künftig im Halbstundentakt fahren, Umsteigezeiten sollen deutlich verkürzt werden.

Drohnen, Drogen, Asylpolitik

Zum Schutz der Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen soll eine Bewaffnung von Drohnen ermöglicht werden. Die deutschen Rüstungsexporte sollen mit einem neuen Gesetz effektiver beschränkt werden. Die grundsätzliche deutsche Ablehnung des Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen soll aufgegeben werden - eine Abweichung von der bisherigen Nato-Linie. In der Asylpolitik wurde vereinbart, dass mehr Flüchtlinge künftig ihre Angehörigen zu sich nach Deutschland holen können. Cannabis soll für Erwachsene künftig zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften erhältlich sein.

Verteilung der Ressorts

Auch über die Verteilung der Ressorts verständigten sich SPD, Grüne und FDP. Die SPD wird mit Olaf Scholz künftig den Kanzler stellen und das Innen- und Verteidigungsministerium, ein neu geschaffenes Bauministerium, und die Ressorts Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit übernehmen. Auch der Chef des Kanzleramts kommt von der SPD. An die Grünen gehen ein neu geschaffenes Wirtschafts- und Klimaministerium, das Außenministerium sowie die Ressorts Umwelt/Verbraucher, Agrar/Ernährung und Familie. Die FDP bekommt das Finanz-, Verkehrs-, Bildungs- und das Justizministerium. Der FDP-Bundesvorstand benannte dafür Parteichef Lindner (Finanzen), Generalsekretär Volker Wissing (Verkehr), den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann (Justiz) und die Parlamentarische Geschäftsführerin Bettina Stark-Watzinger (Bildung).

Redaktion beck-aktuell, 25. November 2021 (ergänzt durch Material der dpa).