Ein Jahr ohne Anklageschrift in Haft
Am 14.02.2017 wurde Yücel in Istanbul von der Polizei in Haft genommen und sitzt seit dem 27.02.2017 ohne Anklageschrift in Untersuchungshaft im Hochsicherheitsgefängnis Silivri. Yücel sei ein prominentes Beispiel, aber nicht der einzige, der ohne Anklage im Gefängnis unter diesen Umständen leide. Unabhängige Berufe wie Rechtsanwälte, Richter, Journalisten und Wissenschaftler würden mit fadenscheinigen Begründungen eines Terrorverdachts festgenommen und eingesperrt, so Schellenberg.
Hebel unabhängiger Justiz außer Kraft gesetzt
Viele der unter den Notstandsgesetzen Inhaftierten erführen oft erst nach Monaten von konkreten Tatvorwürfen. Eine offizielle Anklageschrift wie bei Deniz Yücel fehle meist ebenfalls. Viele Rechtsanwälte könnten ihrer Arbeit gar nicht mehr nachgehen und seien selbst festgenommen worden. Vertrauliche Gespräche zwischen Mandanten und Anwalt seien nicht mehr möglich. Zusätzlich würden Verdachtsmomente gegen die Mandanten auch auf den anwaltlichen Verteidiger übertragen. Unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft einer terroristischen Organisation würden in sehr vielen Fällen wie dem von Yücel die Hebel einer unabhängigen Justiz außer Kraft gesetzt.
EGMR dürfe sich nicht hinter formellen Anforderungen verstecken
"Über 30.000 Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus der Türkei seit dem Putschversuch zeigen, Yücel ist kein Einzelfall", so Schellenberg. Der EGMR dürfe sich an dieser Stelle nicht weiter hinter formellen Anforderungen wie der Rechtswegerschöpfung verstecken. Yücel hatte im vergangenen Jahr Beschwerde beim EGMR aufgrund seiner langen Untersuchungshaft und der Einschränkung der Meinungsfreiheit eingereicht.