Debatte über schärfere Corona-Maßnahmen - Bundestag will mitsprechen
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© Kay Nietfeld / dpa

Bund und Länder haben gerade erst einen schärferen Kurs zur Bewältigung der Corona-Pandemie beschlossen. Da kommt aus Bayern bereits die Forderung nach strikteren bundesweiten Maßnahmen. Immer deutlicher wird: Am Umgang des Staates mit der Pandemie muss noch Feintuning betrieben werden. Dabei will der Bundestag künftig mehr mitreden und auch die Abgrenzung zwischen Bundes- und Landeskompetenzen ist weiter in der Diskussion.

Söder: Mehr Rechte für Bund beim Infektionsschutz

CSU-Chef Markus Söder forderte am 19.10.2020 eine bundesweit einheitliche Maskenpflicht für Regionen mit vielen Corona-Fällen - in Schulen, auf öffentlichen Plätzen und auch am Arbeitsplatz. "Wir brauchen eine allgemeine Maskenpflicht national“, sagte er. Der bayerische Ministerpräsident sprach sich im Grundsatz auch für mehr Rechte des Bundes beim Infektionsschutz aus. Hintergrund der Debatte über eine weitere Verschärfung der Maßnahmen ist die Sorge, dass das Infektionsgeschehen außer Kontrolle geraten könnte. Betroffen sind inzwischen nicht nur Großstädte oder Ballungsräume.

Maskenpflicht und Sperrstundenregelung

Söder verlangte konkret vor einer Schaltkonferenz des CSU-Vorstands, dass bei mehr als 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen eine Maskenpflicht auf stark frequentierten öffentlichen Plätzen und in Schulen gelten solle, in Grundschulen und Horten ab der Marke 50. Bei einem Wert von 35 solle es auch eine bundesweite Maskenpflicht am Arbeitsplatz geben, wenn Mindestabstände nicht eingehalten werden können. Zudem sollten alle Länder nach bayerischem Muster ab einem Wert von 50 die Sperrstunde für Lokale schon um 22.00 Uhr verhängen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies am 19.10.2020 auf die "wichtigen Schritte“ vom 14.10.2020 hin. Die Ministerpräsidenten der Länder hatten sich mit der Kanzlerin dabei auf eine schrittweise Ausweitung der Maskenpflicht in Corona-Hotspots verständigt - dies blieb aber wesentlich unpräziser als jetzt von Söder verlangt. 

Merkel will nicht an Aufgabenverteilung rütteln

Mit Blick auf Söders Vorstoß nach mehr bundeseinheitlichen Regelungen machte die Kanzlerin deutlich, dass sie nicht an der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern rütteln wolle. Sie glaube, dass sich der Föderalismus in der Pandemie bewährt habe, weil sehr viel spezifischer vor Ort reagiert werden könne. Regierungssprecher Steffen Seibert verteidigte indes vor der Presse, dass die Kanzlerin am 17.10.2020 ihren wöchentlichen Podcast angesichts der sich zuspitzenden Infektionslage für einen eindringlichen Appell an die Bürger genutzt hat. Merkel hatte die Menschen in Deutschland gebeten: "Verzichten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwendig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwendig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.“

Rufe nach mehr Parlamentsbeteiligung werden lauter

Immer mehr Politiker fordern, dass die Parlamente - Bundestag und Landtage - stärker in die Entscheidungen eingebunden werden müssen. "Eine epidemiologische Not darf nicht zu einem Notstand der Demokratie werden", sagte die Linken-Vorsitzende Katja Kipping. Grünen-Chef Robert Habeck forderte, den Kampf gegen die Pandemie verstärkt auf Bundesebene im Bundestag und Bundesrat zu verhandeln. Und Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagte, es werde schon zu lange hinter verschlossenen Türen verhandelt. "Beratung, Abwägung, Entscheidung und Kontrolle gehören gerade in Krisenzeiten ins Parlament." Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) sieht sogar das Prinzip der Gewaltenteilung in einer Schieflage. "Das ist 'ne wirklich gefährlich falsche Entwicklung (…). Die Koalitionsfraktionen haben viel zu lange sozusagen delegiert an die Ministerpräsidenten und das rächt sich.“ Durch das Ringen im Bundestag um die richtigen Antworten auf die schwierigen Fragen entstehe erst eine Akzeptanz in der Bevölkerung für Grundrechtseingriffe. Unzufriedenheit gibt es aber nicht nur bei der Opposition, sondern auch in den Koalitionsfraktionen. "Das Parlament muss der Ort sein, an dem die zentralen Entscheidungen getroffen werden“, sagte beispielsweise Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) gegenüber der Presse. 

Spahn will Sonderrechte zur Pandemiebekämpfung "verstetigen"

Die Kritik am geringen Einfluss der Parlamente auf die Entscheidungen über Corona-Maßnahmen entzündet sich unter anderem daran, dass sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Sonderrechte verlängern lassen möchte, die ihm der Bundestag im März 2020 eingeräumt hatte. Sie sind bislang bis März 2021 begrenzt. Im Gesetzentwurf heißt es nun, die bisherigen Regelungen sollten - "unter der Voraussetzung, dass dies zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist" - "verstetigt" werden. "Das ist ja nicht irgendwie Willkür oder Zufall, dass es entsprechende Möglichkeiten für den Bund, für den Bundesminister gibt oder für die Länder, sondern das sind gesetzliche Grundlagen, vom Bundestag beschlossene Grundlagen“, sagte Spahn am 19.10.2020 im ZDF-"Morgenmagazin“.

Bundestag könnte Sonderrechte wieder einkassieren

Allerdings ist der Bundestag keineswegs ohne Mitwirkungsrechte. So wurde die "epidemische Notlage von nationaler Tragweite" - die Grundlage für die Sonderrechte der Regierung - im März 2020 vom Bundestag beschlossen. Der Bundestag kann sie auch wieder aufheben. Und auch im neuen Gesetzentwurf steht, dem Bundestag werde "das Recht eingeräumt, entsprechende Verordnungen abzuändern oder aufzuheben“. 

Bundestagspräsident präsentiert Vorschläge für verstärkte Parlamentsmitwirkung

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat den Fraktionen unterdessen Vorschläge für eine stärkere Beteiligung des Parlaments an Entscheidungen über Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorgelegt. Er ließ den Wissenschaftlichen Dienst eine Stellungnahme zu der Thematik erarbeiten. Darin wird mit Blick auf die vielfachen Einschnitte für Bürger betont: "Je intensiver und breiter wirkend der Grundrechtseingriff ist, desto höher muss die parlamentsgesetzliche Regelungsdichte sein.“ Vorgeschlagen wird unter anderem, "konkrete Ermächtigungsgrundlagen für besonders eingriffsintensive und streuweite Maßnahmen" zu schaffen. So würde eine echte Beschränkung der Eingriffsbefugnisse erfolgen. Zudem sollten Maßnahmen gegen die Pandemie befristet und Rechtsverordnungen der Regierung unter einen Zustimmungsvorbehalt des Bundestages gestellt werden. Alternativ sollte dieser die Möglichkeit bekommen, solche Rechtsverordnungen aufzuheben. Auch eine Pflicht zur Unterrichtung durch die Bundesregierung wird verlangt.

Richterbund warnt vor Dauerzustand

Trotzdem kritisierte der Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn im "Handelsblatt“: "In der ersten Phase der Corona-Pandemie ist es vertretbar gewesen, Freiheitsrechte durch Verordnungen der Exekutive einzuschränken, um möglichst rasch auf akute Gefahren reagieren zu können. Das darf aber nicht zum Dauerzustand werden.“ 

Bundesärztekammer-Präsident warnt vor Abstumpfung der Bevölkerung

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, warnte unterdessen davor, die Bevölkerung zu verunsichern. Er wolle keine Entwarnung oder übertriebene Gelassenheit verbreiten, sagte er am 19.10.2020 im Deutschlandfunk. "Aber ich finde, man kann den Menschen nicht in einer Tour Angst machen.“ So könne eine Art von Abstumpfung entstehen. Teile der Bevölkerung könnten anfangen, die Warnungen nicht mehr ernst zu nehmen.

Redaktion beck-aktuell, 20. Oktober 2020 (dpa).