DAV zur JuMiKo: Doppelbestrafungsverbot nicht aufweichen

Über einige strafrechtliche und strafprozessuale Vorhaben bei der gerade gestarteten Herbstkonferenz der Landesjustizminister, die – im Guten wie im Schlechten "hellhörig" werden ließen, berichtet der Deutsche Anwaltverein (DAV). Er warnt vor der Aufweichung des Doppelbestrafungsverbots, lobt den Vorschlag einer Fristenharmonisierung bei der Revision und macht Vorschläge zur Ersatzfreiheitsstrafe.

Vorschlag zu Erweiterung der Wiederaufnahme zu Ungunsten Freigesprochener

Ein freigesprochener Beschuldigter dürfe wegen des verfassungsrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung nicht ein weiteres Mal wegen derselben Tat vor Gericht gestellt werden, erläutert der DAV – die einzige Ausnahme gelte im Fall eines Geständnisses. Die Regierungsparteien hätten sich jedoch bereits im Koalitionsvertrag für eine Erweiterung der Wiederaufnahme zu Ungunsten freigesprochener Angeklagter für "nicht verjährbare Straftaten", also Mord und Völkermord, ausgesprochen. Diese Idee greife nun ein JuMiKo-Antrag von Bayern auf: Eine Wiederaufnahme soll bei diesen Vorwürfen möglich sein, "wenn aufgrund neuer wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden nachträglich der Nachweis der Täterschaft geführt werden kann". Konkret beziehe sich der Antrag auf die DNA-Analyse.

DAV: Kein Raum für "Freispruch light" unter Vorbehalt späterer besserer Erkenntnis

Abgesehen davon, dass eine DNA-Spur kein DNA-Beweis ist, dürfte ein solches Vorhaben verfassungswidrig sein, meint der DAV: "Das Grundgesetz hat sich im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit eindeutig für die Rechtskraft entschieden", betont Stefan Conen, Mitglied des DAV-Strafrechtsausschusses. "Art. 103 Abs. 3 verbietet nach allgemeiner Auffassung auch die Doppelverfolgung nach einem Freispruch. Für einen ‚Freispruch light‘ unter dem Vorbehalt späterer besserer Erkenntnis gibt es insofern keinen Raum."

"Update" der Revisionsbegründungsfrist begrüßenswert

Eine Vorlage aus Rheinland-Pfalz für ein "Update" der Revisionsbegründungsfrist hält der DAV indes für sinnvoll. Gerade in umfangreichen Strafprozessen sei die Diskrepanz zwischen der nach Dauer der Hauptverhandlung gestaffelten Urteilsabsetzungsfrist und der zwingend einmonatigen Revisionsbegründungsfrist eklatant. Das mache eine effektive Verteidigung im Revisionsverfahren nahezu unmöglich. In der Beschlussvorlage von Rheinland-Pfalz werde nun für Revisionsbegründungen eine gestaffelte Frist in Anlehnung an die Urteilsabsetzungsfrist vorgeschlagen. Dies sei ausdrücklich zu begrüßen.

DAV fordert Frist für Fertigstellung des Sitzungsprotokolls

In seiner Initiativstellungnahme 47/20 hatte der DAV bereits eine ähnliche Regelung gefordert, ging jedoch noch weiter: Gleichzeitig sollte die Urteilsabsetzungsfrist auf höchstens 27 Wochen begrenzt werden – dies ist die Frist, die aktuell bei mehr als 100 Sitzungstagen gilt. Für geboten hält der DAV auch die Einführung einer Frist für die Fertigstellung des Sitzungsprotokolls: Unverzüglich, spätestens nach einer Woche. Um eine effektive Verteidigung sicherzustellen, sollte eine Fristüberschreitung als absoluter Revisionsgrund gelten oder zumindest einen Unterbrechungsanspruch gewähren.

Ersatzfreiheitsstrafen reformieren

Auch ein weiterer Antrag aus Rheinland-Pfalz stößt bei der Anwaltschaft auf offene Ohren. Dabei geht um das System der Ersatzfreiheitsstrafen. Der Antrag sehe zwar keine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen vor, es solle lediglich ein Reformbedarf geprüft werden, insbesondere zum Umrechnungsmaßstab: ein Tagessatz = ein Hafttag. Dass das System der Ersatzfreiheitsstrafen kritisch hinterfragt wird, sei zu begrüßen. Dies sollte umfassend geschehen, fordert der DAV. Solange die Ersatzfreiheitsstrafe – und vor allem deren Androhung – für die Vollstreckungsbehörden unverzichtbar ist, seien Schutzmechanismen im Verfahren zu verankern: Eine zwingende richterliche Anhörung und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers böten sich hier an.

Ersatzfreiheitsstrafe nur bei Rechtsungehorsam, nicht bei Finanzproblemen

Auch könnte man die Vollstreckung sachlich davon abhängig machen, ob die Uneinbringlichkeit Ausdruck von Rechtsungehorsam ist. Häufig liege sie in der Natur des Ausgangsfalls begründet: Ersatzfreiheitsstrafen griffen meist bei serienmäßig begangenen Bagatelltaten wie der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Fahrschein. Sie träfen Menschen, denen weniger der Rechtsbefolgungswille als die finanziellen Mittel fehlen. Die Inhaftierung wirke dann nur entsozialisierend und stigmatisierend. Eine präventive Wirkung der kurzen Freiheitsstrafe sei nicht belegt. In diesen Fällen sei der Sozialstaat gefordert, nicht das Strafrecht, so der DAV.

Redaktion beck-aktuell, 26. November 2020.