"Pflicht statt Privileg"
Der Vorwurf gegenüber der Rechtspolitik war deutlich: Sie habe in manchen Reformen ein bedenkliches Verständnis von Anwaltschaft und Rechtsstaat an den Tag gelegt, so der DAV anlässlich des virtuellen Deutschen Anwaltstags. Die Pflicht zur Verschwiegenheit sei durch eine ganze Reihe neuer Gesetze bedroht, etwa durch Reformen der StPO oder der Polizeigesetze, aber auch im Kontext von Wirtschaft, Zoll oder EU-Vorhaben. "Das Mandatsgeheimnis ist kein Privileg, sondern eine Pflicht", betonte DAV-Präsidentin Edith Kindermann heute in einer Online-Pressekonferenz. Und es schütze auch nicht den Anwalt, sondern die Mandanten. Dennoch werde es in immer mehr Gesetzvorhaben vor lauter "gutem Willen" vergessen: "Wir beobachten hier eine Abwärtsspirale – die darf in der nächsten Legislatur so nicht weitergehen", forderte Kindermann.
Besonders im Blick: Verbandssanktionengesetz
Das gelte insbesondere für das in dieser Wahlperiode gescheiterte Verbandssanktionengesetz, in dessen Entwurf sich das Beschlagnahmeverbot auf Dokumente beschränke, die das Vertrauensverhältnis zwischen einem Beschuldigten und seinem Verteidiger betreffen. Sollte diese Regelung in der nächsten Wahlperiode Gesetz werden, unterläge jegliche Dokumentation anwaltlicher Beratung und Tätigkeit außerhalb eines strafrechtlichen Mandats der Beschlagnahme, warnte Kindermann. Die Trennung von Internal Investigations und Strafverteidigung offenbare auch ein tiefes Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft und ihrer Rolle im Rechtsstaat als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Kindermann mahnte überdies an, den Geheimnisschutz auch bei digitaler Kommunikation zu wahren. Der DAV spricht sich daher gegen das verdachtsunabhängige flächendeckende Scannen von Online-Kommunikationsdiensten aus.
Lob für BRAO-Reform
Überwiegend Lob vom DAV bekam die Rechtspolitik für die Gesetzesnovellen im Berufsrecht, allen voran für die große BRAO-Reform. Sie sei "das passende Geburtstagsgeschenk zum 150-jährigen Bestehen des DAV", so Edith Kindermann. Sie sei ein deutlicher Fortschritt in Richtung zeitgemäße Rahmenbedingungen für die anwaltliche Tätigkeit, insbesondere durch die Liberalisierung der interprofessionellen Zusammenarbeit in Anwaltsgesellschaften und Bürogemeinschaften. Rechtsuchende seien gerade bei komplexen Sachverhalten dankbar für eine Beratung aus einer Hand. "Die Öffnung hin zu interdisziplinärem Austausch ist sowohl für die Seite der Beratenden als auch für die Mandantschaft ein echter Mehrwert", so Kindermann. Positiv hervorzuheben sei auch der Verzicht auf eine Verschärfung der Interessenkollision bei vertraulichen Informationen.
Nachschärfungen an RDG-Reform gefordert
Etwas zurückhaltender fiel die Bewertung zum "Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt" aus, das Anwältinnen und Anwälten teilweise Erfolgshonorare erlaubt. Während Kindermann bei der BRAO-Reform von einem Schritt in die richtige Richtung sprach, wertete sie die RDG-Novelle auf Nachfrage als "Schritt in eine Richtung". Bei einem ganzheitlichen Blick auf den Rechtsdienstleistungsmarkt und die Bedürfnisse der Rechtsuchenden werde deutlich, dass es ausdifferenzierterer Regelungen bedürfe, als sie die Reform liefere. Es gehe nicht nur um Legal Tech, weshalb auch die Bezeichnung als "Legal-Tech-Gesetz" missverständlich sei, und ein Level Playing Field der Markteilnehmer. Anwaltsleistungen und Inkassodienstleistungen seien etwas ganz unterschiedliches. Kindermann forderte daher, hier noch nachzuschärfen, was nach einer Entschließung des Bundestags auch geplant ist.
Gesetzgebungsverfahren der Reformen soll noch im Juni abgeschlossen werden
Der Bundestag will die beiden Gesetze heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Wenn der Bundesrat am 25.06.2021 ebenfalls grünes Licht gibt, können sie am 01.10.2021 (RDG-Reform) respektive im Sommer 2022 (BRAO-Reform) in Kraft treten.