DAV kritisiert Überlegungen zu Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert vor dem Hintergrund der anstehenden Justizministerkonferenz (JuMiKo) Überlegungen zur Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren auf Bewährung sollen danach künftig ohne Hauptverhandlung "per Post" verhängt werden können. Wie der DAV am Mittwoch mitteilte, befürchtet er schwere Nachteile für Beschuldigte. Auch der Entlastungseffekt für die Justiz sei mindestens fraglich.

Nach Bewährungsverstoß könnte beachtliche Haftstrafe drohen

Die mögliche Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens auf Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren auf Bewährung sieht der DAV kritisch. "Die potentielle Strafe würde bis zur Obergrenze der Freiheitsstrafen gehen, bei der gerade noch eine Aussetzung zur Bewährung möglich wäre – das ist viel zu weitgehend", mahnte Rechtsanwalt Martin Rubbert, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des DAV. Denn darin läge eine Gefahr: Sollte es zeitnah zu weiteren Verurteilungen kommen, die die Bildung einer Gesamtstrafe zuließen, wäre die Bewährung plötzlich vom Tisch. Auch ein Bewährungsverstoß könne zum Widerruf der Bewährung führen. "Beschuldigten droht damit unter Umständen eine beachtliche Haftstrafe, ohne je einen Gerichtssaal von innen gesehen zu haben", so der Strafverteidiger aus Berlin.

Rein schriftliches Verfahren aus Sicht des DAV unzureichend

Angesichts dieser weitreichenden Folgen reiche ein rein schriftliches Verfahren nicht aus, teilte der DAV mit. Vermeintliche Effizienz und Beschleunigung dürfen nicht einseitig auf dem Rücken der Beschuldigten ausgetragen werden. Im Strafbefehlsverfahren sei der Fair-Trial-Gedanke der Waffengleichheit ohnehin eingeschränkt – dies vermag nach Ansicht des DAV auch der Einsatz einer Pflichtverteidigung nicht ohne Weiteres auszugleichen: "Die Beiordnung einer Verteidigung kann hier nur Abhilfe schaffen, wenn Beschuldigte einen Strafbefehl überhaupt zur Kenntnis nehmen und verstehen – das ist in der Realität regelmäßig nicht der Fall", warnte Rubbert. Und selbstverständlich müsse dann der Kontakt zwischen Beschuldigten und Verteidigung auch tatsächlich zustande kommen. Dann könne etwa die Existenz weiterer Ermittlungsverfahren geklärt und angemessene Beratung ermöglicht werden.

DAV hält Entlastungseffekt für zweifelhaft

Insbesondere in Fällen, in denen ein Kontakt zur Verteidigung nicht zustande kommt, seien lege artis arbeitende Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen nach Auffassung des DAV verpflichtet, Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen. Dies sei geboten, um zu vermeiden, dass weitere drohende Strafen unberücksichtigt bleiben, und um die Situation mit dem Beschuldigten beraten zu können. Damit wäre der Entlastungseffekt für die Justiz hinfällig.

Redaktion beck-aktuell, 9. November 2022.