DAV-Halbzeitbilanz für große Koalition: Wenig Licht, viel Schatten

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) stellt der großen Koalition zur Halbzeit mit Blick auf anwaltliche Belange ein eher mäßiges Zeugnis aus: Die Politik habe die Bedeutung der Anwaltschaft für den Rechtstaat offenbar nicht im Blick, heißt es in einer Mitteilung vom 01.11.2019. Positiv hervorzuheben sei, dass sich die Koalition auf Eckpunkte für eine große BRAO-Reform geeinigt hat. Das Papier entspreche in weiten Teilen dem DAV-Vorschlag von 2018. "Die Anwaltschaft benötigt ein Berufsrecht, bei dem es im Wesentlichen ihr überlassen wird, mit wem und wie sie ihren Beruf ausübt", sagte Rechtsanwältin Edith Kindermann, Präsidentin des DAV. Bis zu einem konkreten Gesetzentwurf sei es allerdings noch ein weiter Weg. Der Gesetzentwurf zur "Modernisierung des Strafverfahrens" verdiene dagegen seinen Namen nicht. Die (vermeintliche) Effektivität des Strafprozesses werde zum Maß aller Dinge erkoren, gehe dabei aber ausschließlich auf Kosten von Beschuldigtenrechten.

Anwaltschaft unter Generalverdacht der Prozesssabotage

Geplant sei unter anderem, das Beweisantragsrecht weiter zu beschneiden, heißt es in der Mitteilung des DAV. Gerichte sollen Beweisanträge unter dem Stichpunkt "Verschleppungsabsicht" ohne förmlichen Beschluss ablehnen können. Damit stelle der Entwurf die Anwaltschaft unter einen Generalverdacht der Prozesssabotage. Beweisanträge würden dazu dienen, die Rechte des Beschuldigten zu wahren und seine Stellung als Verfahrenssubjekt zu gewährleisten. Darüber hinaus seien sie die einzige Möglichkeit seitens der Verteidigung, mit dem Gericht zu kommunizieren, da es im Strafprozess keinen Anspruch auf ein Rechtsgespräch gebe. Was im Strafverfahren aber dringend benötigt werde, seien Kommunikation und Transparenz.

Kritik an fehlender Protokollierung des Inhalts der Beweisaufnahme

Der DAV bemängele daher auch seit Langem, dass es im deutschen Strafprozess keine verlässliche, objektive und allen Beteiligten zugängliche Protokollierung des Inhalts der Beweisaufnahme gibt. Dass eine Dokumentation des Verfahrens noch immer dergestalt stattfindet, dass der bzw. ein Richter handschriftlich Notizen anfertigt, sei vollkommen aus der Zeit gefallen. Selbst ein Wortprotokoll suche man vergebens, eine abspielbare Aufzeichnung erst recht. Deutschland sei damit im europäischen Vergleich eine "Ausnahmeerscheinung" der negativen Art. "Wir haben hier ein Rechtsstaatsdefizit", warnte Rechtsanwältin Margarete Gräfin von Galen, Mitglied des DAV-Strafrechtsausschusses.

DAV moniert Pläne zum Unternehmenssanktionenrecht

Auch die Pläne zum Unternehmenssanktionenrecht werden vom DAV kritisiert. Besonders bedenklich sei die Aushöhlung des Anwaltsgeheimnisses: Auf anwaltliche Unterlagen und Aufzeichnungen zu Personen, die sich gerade nicht in einem Strafverfahren befinden, könnten Ermittlungsbehörden nach dem Entwurf leicht zugreifen. Hier brauche es klare Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote wie auch ein anwaltliches Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutz der Beschuldigten, fordert der DAV.

Reform beim Thema Vergütung dringend erforderlich

Gar nicht erst in den Koalitionsvertrag geschafft habe es das Thema Vergütung: Hier ist nach Auffassung des DAV dringend eine Anpassung der RVG-Sätze erforderlich – nach über sechs Jahren Stillstand bei gleichzeitig immens gestiegenen Kosten. Offenbar sei selbst die Bundesregierung zur Erkenntnis gelangt, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu den gesetzlichen Gebühren "häufig nicht zu einer Übernahme eines umfangreichen und komplexen Mandats bereit" seien, wie kürzlich einer Antwort auf eine Kleine Anfrage zu presserechtlichen Streitigkeiten (BT-Drs 19/13868) zu entnehmen gewesen sei. Die Alternative, individuelle Honorarvereinbarungen zu treffen, sei jedoch keine Lösung: "Rechtsberatung darf kein Privileg für Besserverdienende sein", betonte DAV-Präsidentin Kindermann. Das System der RVG-Kostenerstattung sei Voraussetzung für einen fairen Zugang zum Recht.

Redaktion beck-aktuell, 4. November 2019.