DAV für unabhängige Expertengremien bei Besetzung von Richterposten

Anlässlich der Beratung des Deutschen Juristentags zur Unabhängigkeit der Justiz am 21. und 22.09.2022 in Bonn, hat sich der Deutsche Anwaltverein (DAV) in einer Stellungnahme unter anderem dafür ausgesprochen, für die Besetzung von Richterpositionen Expertengremien zu schaffen, in der die Vielfalt der Anwaltschaft angemessen vertreten ist. Richterwahlausschüsse hätten hingegen die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt.

DAV wünscht sich gesetzliche Festlegung maßgeblicher Eignungskriterien

Weiter bietet sich laut DAV eine gesetzliche Festlegung der maßgeblichen Eignungskriterien an, damit Auswahlentscheidungen rationaler und transparenter getroffen werden. Zu überlegen ist dem Anwaltverein zufolge schließlich, einen konkreteren gesetzlichen Rahmen für die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Postulat einer wehrhaften Demokratie, der richterlichen Unabhängigkeit und den spezifischen Abgeordnetenrechten zu schaffen. Der DAV nimmt in seiner Stellungnahme Bezug auf ein Gutachten von Prof. Dr. Fabian Wittreck zum Thema "Empfehlen sich Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz bei der Besetzung von Richterpositionen?", das für den Deutschen Juristentag 2020/2022 erstellt wurde. In seiner Stellungnahme verweist der Anwaltverein im Zusammenhang mit der Kritik an Richterwahlausschüssen zunächst auf ein Problem, dem die Ausschüsse auf Länder- und Bundesebene ausgesetzt sind: Einerseits sollen sie eine freie Wahlentscheidung treffen und damit die demokratische Legitimation der Richterwahl stärken, müssen andererseits aber auch das Prinzip der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG beachten.

Politische Einflussnahme statt sachlicher Kriterien?

Auch habe das Bundesverfassungsgericht 2016 in seiner Rechtsprechung festgehalten, so der DAV weiter, dass sich die Mitglieder des Richterwahlausschusses bei Bundesrichterwahlen zwar von Art. 33 Abs. 2 GG "leiten" lassen müssen, eine dahingehend strikte Bindung des Ausschusses aber abgelehnt, um eine freie Wahlentscheidung zu ermöglichen. Diese Konstruktion scheine zumindest zweifelhaft. Denn ob und in welcher Intensität sich die Richterwahlausschüsse bei ihrer Wahlentscheidung tatsächlich am Grundsatz der Bestenauslese orientieren, sei nicht gesichert und nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht eigenständig gerichtlich überprüfbar. Insbesondere durch die Beteiligung politischer Mandatsträger bestehe die latente Gefahr, dass (partei)politische Gründe die Entscheidung beeinflussen und die Orientierung an sachlichen Kriterien überlagern könnten.

Expertengremium statt Richterwahlausschuss

Vor diesem Hintergrund sollte laut DAV kritisch überprüft werden, ob die Richterwahlausschüsse in ihrer derzeitigen Ausgestaltung Besetzungsentscheidungen am besten treffen können oder ob sich ein anderes Procedere anbiete. Gleiches gelte, soweit Besetzungsentscheidungen bisher ohne Einbeziehung eines Richterwahlausschusses getroffen werden. Insbesondere erscheine es als überlegenswert, zumindest bei der Wahl von Bundesrichtern und der Besetzung anderer höherer Richterposten ein unabhängiges Expertengremium einzusetzen, das ausschließlich aus Mitgliedern der Justiz, Anwaltschaft und Rechtswissenschaft und ggf. – je nach Fachrichtung des Gerichts – Repräsentanten anderer relevanter beruflicher bzw. gesellschaftlicher Gruppen (zum Beispiel Gewerkschaften) bestehe. Das Gremium sollte zwecks demokratischer Legitimation von dem jeweiligen Parlament gewählt werden. Eine Wiederwahl der Mitglieder sollte ausgeschlossen sein. Auch sei zu gewährleisten, dass das Gremium eine hinreichende fachliche, politische und gesellschaftliche Diversität aufweist. Eine Berücksichtigung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen dürfte dabei umso näherliegen, je höher die zu vergebende Position angesiedelt ist. Auch eine angemessene Vertretung der Anwaltschaft in dem Gremium wäre laut DAV von Vorteil, weil dadurch in besonderer Weise die Neutralität der zu treffenden Entscheidungen sichergestellt würde. Erfahrungen aus dem Ausland zeigten, dass es häufig gerade die Anwaltschaft sei, die auf die Wahrung der Unabhängigkeit vom Staat und die Neutralität von Besetzungsentscheidungen besonders bedacht ist.

Umfang der Tätigkeit des Expertengremiums

Dem Expertengremium sollte ferner laut DAV ein vor der Besetzung der Richterposten durch die jeweilige Justizverwaltung greifendes qualifiziertes Recht zur Stellungnahme eingeräumt werden. Das Vorschlagsrecht für die jeweiligen zu besetzenden Richterposten verbliebe bei den Justizverwaltungen. Die vorgeschlagenen Kandidaten sollten sodann in einem transparenten und regelbasierten Verfahren durch das Expertengremium auf ihre fachliche Eignung hin geprüft werden. Am Ende dieses Verfahrens stünde das (Mehrheits-)Votum des Expertengremiums, das zentrale Grundlage der Ernennung durch die Justizverwaltungen sein sollte. Eine Abweichung von diesem Votum sollte den Justizverwaltungen nur in sehr engen Ausnahmen möglich sein, deren Vorliegen zwingend von den Justizverwaltungen zu begründen wäre. 

Verankerung des Anforderungskatalogs für Bewerber

Hinsichtlich der Besetzung von Richterposten und der Beförderung von Richtern, insbesondere auf Richterstellen an Ober- und Bundesgerichten, empfiehlt es sich laut DAV, einen Anforderungskatalog an die Kandidaten gesetzlich zu verankern. Dieser habe sich vor allem an dem sachlichen Grundsatz der Bestenauslese zu orientieren und sollte mit Öffnungsklauseln ausgestaltet sein, um abweichenden Einzelfällen Rechnung tragen zu können. Der Bundesgesetzgeber solle dazu insbesondere von seiner Verordnungsermächtigung in § 21 Abs. 2 Bundesbeamtengesetz, das gemäß § 46 DRiG auch für Bundesrichter Anwendung findet, Gebrauch machen. Noch zielführender wäre es nach Ansicht des Anwaltvereins, wenn im Deutschen Richtergesetz spezifische Eignungskriterien für Richter festgehalten würden. Dabei wäre es denkbar, die Eignungskriterien je nach Gerichtszweig und Richterstelle nochmals zu spezifizieren.

Entfernung aus dem Dienst

Die Entfernung von Beamten bzw. Richtern aus dem Dienst, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden, berührt laut DAV die grundsätzliche Frage, wie der Öffentliche Dienst eines demokratischen Rechtsstaats mit Extremisten in den eigenen Reihen umzugehen habe. Einerseits gehöre es zur wehrhaften Demokratie, dass der Rechtsstaat dauerhaft vor Justizangehörigen geschützt werde, die nicht (mehr) auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Andererseits sei es zur Wahrung der persönlichen richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 2 GG) unabdingbar, dass insbesondere die dauerhafte Entfernung aus dem Richterdienst strengen Kriterien und einem rechtsstaatlichen Verfahren unterliegen müsse. Die Kontroversen um eine mögliche Entfernung eines Richters in Sachsen hätten verdeutlicht, dass sich das Spannungsverhältnis im Dreieck zwischen wehrhafter Demokratie, Schutz der richterlichen sowie der Unabhängigkeit des Abgeordneten mit Blick auf Richter, die Träger eines politischen Mandats waren, noch einmal verschärfe. Es wäre ratsam, so der DAV, das für die Rückkehr von ehemaligen Mandatsträgern in den Richterdienst anzuwendende Regelwerk klarer zu fassen. Der Fall in Sachsen habe gezeigt, dass insbesondere eine gesetzliche Klarstellung hinsichtlich des Umfangs und der Reichweite des Ruhens der Pflichten aus dem Dienstverhältnis gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 AbgG wünschenswert wäre. Unklarheit besteht dem DAV zufolge insbesondere darüber, ob einzelne Pflichten aus dem fortbestehenden öffentlichen Dienstverhältnis (unabhängig vom spezifischen Amt) auch während der Mandatszeit fortwirken und ob sowie ggf. unter welchen Voraussetzungen mandatsbezogene Äußerungen zu einem späteren Zeitpunkt Konsequenzen für das Verbleiben im Richterdienst haben können.

Gitta Kharraz, 20. September 2022.