DAV fordert Erweiterung der Fälle notwendiger Verteidigung
Der DAV begrüßt zunächst, dass der Entwurf sich am "merits test" zur Notwendigkeit der Verteidigung orientiert. Der Entwurf halte somit am bestehenden System fest und erhebe nicht die materielle Bedürftigkeit des Beschuldigten zum Kriterium, sondern bestimme die Pflichtverteidigung in erster Linie anhand der Umstände des Vorwurfs, seiner justiziellen Behandlung sowie der sich hieran knüpfenden potentiellen Rechtsfolgen. Allerdings sieht der DAV bei § 140 StPO Anpassungsbedarf: So sei ein Fall notwendiger Verteidigung auch bei Taten während einer Bewährungszeit anzunehmen, und ebenso in Prozessen, in denen nicht beigeordnete Nebenklagevertreter oder Opferbeistände agieren.
Ausnahmen vom "Verteidiger der ersten Stunde" zu streichen
Ebenso begrüßt der DAV die Normierung des "Verteidigers der ersten Stunde", der spätestens vor der Vernehmung des Beschuldigten beizuordnen sei. Allerdings lehnt er die vorgesehene Einschränkung wegen einer gegenwärtigen Gefährdung von Freiheit, Leib oder Leben einer Person oder einer erheblichen Gefährdung eines Strafverfahrens unter rechtsstaatlichen Aspekten ab. Die Ausnahmen seien auch nicht in der Richtlinie enthalten.
Ausschlussgrund nicht rechtzeitiger Verfügbarkeit des Vertrauensanwalts moniert
Der DAV stimmt auch dem Ansatz des Entwurfs zu, die Autonomie und das Vertrauen des Beschuldigten in einen von ihm bezeichneten Anwalt, dessen Beiordnung er wünsche, grundsätzlich zu respektieren. Er moniert das vom Referentenentwurf vorgeschlagene Abweichen von diesem Grundsatz jedoch in einzelnen Konstellationen als vorschnell. Die Bedingung, dass der zum Pflichtverteidiger zu bestellende Vertrauensanwalt an von ihm nicht obligatorisch wahrzunehmenden Terminen zur Verfügung stehen müsse, sei zu streichen.
Richterliches Auswahlermessen bei Bestellung von Pflichtverteidigern beseitigen
Der Verband fordert zudem, die Richterschaft (und entgegen der künftigen Überlegung des Entwurfs für Eilfälle auch die Staatsanwaltschaft) von der rechtsstaatlich nicht unbedenklichen Pflicht eines individuellen Auswahlermessen zur Bestellung von Pflichtverteidigern zu befreien. Er schlägt hier ein rollierendes System beizuordnender Verteidiger analog den Hilffschöffenlisten vor, um das bisherige zu ersetzen.
Kritik am Sicherungsverteidiger
Darüber hinaus sieht der DAV in der vorgesehenen Implementierung eines Sicherungsverteidigers einen Systemwechsel, den er ablehnt. Er kritisiert sowohl die Benennung als auch die Ausgestaltung dieser Figur.
Auswechslungsmöglichkeiten zu erweitern
Laut DAV ist die Möglichkeit der Auswechslung eines einmal beigeordneten Anwalts für einen mit seinem Verteidiger unzufriedenen Beschuldigten von der Rechtsprechung unzumutbar beschränkt worden. Der Entwurf trage der Notwendigkeit erleichterter Auswechslungsmöglichkeiten unter dem Regime des Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie jedoch nur unzureichend Rechnung. Diese seien zu erweitern und müssten insbesondere mindestens bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens bestehen, um den Anforderungen zu genügen.