DAV fordert Abkehr von symbolischer Kriminalitätspolitik und StPO-Moratorium

Anlässlich der laufenden Koaliti­ons­ver­hand­lungen fordert der Deutsche Anwalt­verein (DAV) eine Abkehr von der symbolischen Krimina­li­täts­politik und ein Moratorium bei der Strafprozessordnung. Das scharfe Schwert des Strafrechts müsse Ultima Ratio sein, das letzte Mittel des Staates – und nicht das Allheilmittel für unerwünschtes Verhalten.

DAV: Strafrecht muss Ultima Ratio bleiben - StPO-Moratorium erforderlich

Die Strafprozessordnung (StPO) sei in hohem Tempo geändert worden, ohne dass jeweils die Wirkung der vorigen Änderungen evaluiert worden sei, so der DAV. Die Rechte von Beschuldigten seien immer weiter beschnitten worden. "Wir müssen weg von der symbolischen und moralistischen Kriminalitätspolitik", mahnte Swen Walentowski, Leiter politische Kommunikation und Medien des DAV am Dienstag. Es möge vielleicht vermeintlich unpopulär sein: "Das Strafrecht ist nicht das Allheilmittel für unerwünschtes Verhalten". Es brauche eine rationale, evidenzbasierte Kriminalpolitik, die auch die Chance habe, wirkliche Änderungen zu bewirken und nicht nur aufgeheizte Gemüter zu beruhigen. "Das scharfe Schwert des Strafrechts muss Ultima Ratio sein, das letzte Mittel des Staates – und nicht das One-fits-all für gesellschaftliche Probleme", betonte Walentowski. Bei der StPO brauche es ein Moratorium, die Änderungen in den letzten Jahren erst wirken zu lassen und zu evaluieren.

Berufsgeheimnis schützen

Der DAV warnte zudem vor Angriffen auf das Berufsgeheimnis: "Alle Pläne, das Berufsgeheimnis einzuschränken, wie etwa durch mehr Möglichkeiten der Beschlagnahme bei Berufsgeheimnisträgern, muss die neue Koalition ablehnen", so Walentowski. So sei es etwa beim Unternehmenssanktionsrecht geplant gewesen. Die Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant sei ein Kern des rechtsstaatlichen Prinzips.

Strafrecht "entschlacken"

"Mit den Mitteln des Strafrechts dürften notwendige gesellschaftliche Debatten nicht beiseite geschoben werden, um gewünschtes Verhalten zu bewirken", erläuterte Walentowski. Daher müssten auch bestehende Vorschriften auf den Prüfstand, nach Maßgabe des Ultima-Ratio-Prinzips. Es gebe eine Vielzahl von Tatbeständen, die entweder einen geringen Unrechtsgehalt aufweisen oder denen der Staat auf anderem Wege begegnen sollte als mit dem Strafrecht: Von der Gotteslästerung über das Schwarzfahren und die kontrollierte Abgabe von Cannabis bis zum Werbeverbot für Abtreibungen – eine entsprechende "Entschlackung" würde zu einer massiven Entlastung der Strafverfolgung und der Justiz führen.

Hauptverhandlung audiovisuell dokumentieren

Der DAV kritisiert in seiner Mitteilung weiter, dass im deutschen Strafprozess noch immer keine audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung stattfinde. Die Beweisaufnahme werde nach wie vor durch handschriftliche Notizen der Richterschaft dokumentiert. Diese Mitschriften würden keiner Rechtsmittelkontrolle unterliegen. "Die jetzige Protokollierung der Hauptverhandlung im Strafprozess ist angesichts ihrer Tragweite ein Jammer", konstatiert Walentowski. Eine Dokumentation durch Bild- und Tonaufzeichnung würde etwaige Rechtsfehler beweisbar machen.

Redaktion beck-aktuell, 3. November 2021.