DAV begrüßt geplante Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) wertet die geplante Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften in einer Stellungnahme als "bedeutenden Schritt zur Modernisierung und Anpassung des Aktienrechts an die seit der Schaffung des AktG 1965 eingetretenen grundlegenden Veränderungen in der Zusammensetzung des Aktionärskreises und an die heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten".

DAV: Stärkung der Mitwirkungsrechte der Aktionäre möglich

Die Zulassung einer virtuellen Hauptversammlung könne die Mitwirkungsrechte der Aktionäre bei sachgerechter Ausgestaltung stärken, so der DAV. Das betreffe etwa die Erleichterung der Teilnahme, gerade auch für ausländische Aktionäre, aber auch die Verbesserung der Qualität der Aktionärsinformationen, etwa im Bereich der Fragenbeantwortung und Vorstandsberichte. Der Gesetzentwurf trage diesen Gesichtspunkten Rechnung. Hier und da sehe der DAV noch Verbesserungsmöglichkeiten. Dies betreffe insbesondere die Abgrenzung zwischen Aktionärsanträgen, die bereits vor der Hauptversammlung gestellt werden müssen, und solchen, die noch in der Hauptversammlung zulässig sind, sowie Vorschläge zur weiteren Stärkung der Aktionärsrechte und der Kommunikation zwischen Gesellschaft und Aktionären.

Verständnis für Verzicht auf besondere Regelungen für Hybrid-Hauptversammlung

Der Gesetzentwurf beschränke sich darauf, die virtuelle Hauptversammlung zu regeln. Er verzichte auf besondere Regelungen zu einer Hybrid-Hauptversammlung, die danach weiterhin nur in der bislang schon zulässigen Form der Präsenz-Hauptversammlung mit zusätzlicher Online-Teilnahme gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG möglich bleibe. Er verzichte auch auf die – durchaus naheliegende – Ausweitung eines Teils der Neuregelungen auf die Präsenz-Hauptversammlung. Und er verzichte erst recht darauf, bei Gelegenheit dieser Neuregelung weitere reformbedürftige Fragen des Aktienrechts, wie namentlich das Beschlussmängelrecht, in Angriff zu nehmen, auch wenn dieses bei nächster Gelegenheit reformiert werden sollte. Der DAV hält das für eine verständliche Selbstbeschränkung, die Zeit gebe, zunächst einmal im Rahmen der rein virtuellen Hauptversammlung Erfahrungen mit den neuen Regelungen zu sammeln. Ob und inwieweit es sachgerecht sei, sie zu einem späteren Zeitpunkt auch für die Präsenz-Hauptversammlung oder eine neue Form der Hybrid-Hauptversammlung nutzbar zu machen, könne zu gegebener Zeit im Lichte der bis dahin gesammelten Erfahrungen entschieden werden.

Befristung der Satzungsregelung vorerst akzeptabel

Dazu passt nach Ansicht des DAV grundsätzlich auch noch die in dem Entwurf vorgesehene maximal fünfjährige Befristung einer Satzungsregelung, die die virtuelle Hauptversammlung vorsehe oder die den Vorstand hierzu ermächtige. An der Notwendigkeit der Befristung könne man allerdings zweifeln, so der DAV. Denn der Entwurf gehe selbst davon aus, dass es sich bei der virtuellen Hauptversammlung im Verhältnis zur Präsenzversammlung um keine "Versammlung zweiter Klasse" handelt. Es sei daher wünschenswert, dass zu einem späteren Zeitpunkt auf eine solche Befristung verzichtet und eine Dauerregelung in der Satzung zugelassen werden kann. Zum jetzigen Zeitpunkt scheine es jedoch akzeptabel, durch die Befristung sicherzustellen, dass die Gesellschaften spätestens nach fünf Jahren prüfen und entscheiden müssen, ob sich die virtuelle Hauptversammlung bewährt hat. Das könnte dann auch ein geeigneter Zeitpunkt für den Gesetzgeber sein, die Befristung abzuschaffen und ergänzende Regelungen zur Hybrid-Hauptversammlung und zur Übertragung eines Teils der Neuregelungen auf die Präsenz-Hauptversammlung einzuführen.

Zur Vermeidung von Blockaden Freigabeverfahren für Satzungsänderung gefordert

Eine unverzichtbare Ergänzung des vorliegenden Gesetzentwurfs scheint dem DAV jedoch darin zu liegen, für die Satzungsänderung zur Einführung der virtuellen Hauptversammlung das Freigabeverfahren des § 246a AktG zu eröffnen. Die Neuregelung könnte andernfalls auf Jahre hin praktisch leerlaufen, wenn Anfechtungsklagen gegen die Satzungsänderung erhoben werden. Die Übergangsregelung in § 26 Abs. 1 EGAktG-E, die – mit Recht – die schnelle Nutzbarkeit der virtuellen Hauptversammlung sicherstellen wolle, bliebe unvollständig, wenn eine beschlossene Satzungsänderung zur Einführung der virtuellen Hauptversammlung durch Anfechtungsklagen jahrelang blockiert werden könnte. Bei Eröffnung des Freigabeverfahrens würde sich nach Ansicht des DAV aus dem Zweck der gesetzlichen Einführung virtueller Hauptversammlungen zugleich ergeben, dass, wenn nicht eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vorliege, in aller Regel der Freigabegrund des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG erfüllt wäre. Der DAV regt an, dies bei Erstreckung des Freigabeverfahrens in der Entwurfsbegründung klarzustellen, um den Gerichten gegebenenfalls eine Anwendungshilfe für diesen neuen Fall des Freigabeverfahrens zu geben.

Zusammenfassung der Regeln zu virtueller Hauptversammlung in Unterabschnitt sinnvoll

Eine letzte grundsätzliche Frage betrifft laut DAV schließlich das Konzept des Entwurfs, die virtuelle Hauptversammlung durch vielfältige Änderungen und Ergänzungen der bestehenden Vorschriften zur Präsenz-Hauptversammlung in das AktG zu integrieren. Möglicherweise könnte es die Lesbarkeit des Gesetzes erleichtern, wenn die wesentlichen Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung in einem neuen Unterabschnitt zum vierten Abschnitt des AktG zusammengefasst würden. Das sollte jedoch angesichts der zeitlichen Enge nur erwogen werden, wenn es die geplante Verabschiedung des Gesetzes nicht verzögern würde.

Redaktion beck-aktuell, 14. März 2022.