Ausnahmestellung des § 142 StGB: Nachtatverhalten wird bestraft
Zur Begründung verweist der Verein in seiner Stellungnahme auf die Ausnahmestellung der Norm des §142 StGB im deutschen Strafrecht. Während grundsätzlich die Schadenherbeiführung unter Strafe gestellt werde, habe der Gesetzgeber mit §142 StGB das Nachtatverhalten nach der Schadenherbeiführung unter Strafe stellen wollen. Dieser Ausnahmecharakter der Norm habe nicht nur zu einer kompliziert verständlichen Norm geführt, sondern auch das Rechtsgut der Norm verwässert. Denn die Vorschrift diene nicht einer besseren Strafverfolgung, auch nicht der Ausschaltung untüchtiger Kraftfahrzeugführer aus dem Straßenverkehr oder der Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Verhinderung von Trunkenheitsfahrten. Sie diene vielmehr ausschließlich der Beweissicherung hinsichtlich der aus dem Unfall erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche Geschädigter gegeneinander und der Abwehr unberechtigter Ansprüche. Dem Schutz zivilrechtlicher Ansprüche untereinander wiederum mit der "Keule des Strafrechts" zu begegnen, erscheine aber nur in Extremfällen sinnvoll, also in solchen Fällen, in denen es um erhebliche Personenschäden geht.
Verstoß gegen den ultimo-ratio-Gedanken
Einen Verstoß gegen diese Verhaltensregeln unter Strafe zu stellen, allein um zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, erscheint laut DAV weder kriminalpolitisch sinnvoll, noch verhältnismäßig im Vergleich zu anderen Schadensherbeiführungen. Auch sei es mit dem ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts nicht vereinbar. Denn derjenige, der ein Haus anzünde, könne straffrei flüchten, während derjenige, der einen nur geringen Schaden an einem anderen Fahrzeug bei einem Ausparkmanöver verursache, bei Flucht bestraft werden würde. Es werde daher sehr befürwortet, eine Reform des §142 StGB ins Auge zu fassen, so der DAV mit Hinweis auf den Arbeitskreis des 56. Verkehrsgerichtstages 2018, der eine solche Reform bereits angemahnt hatte. Bereits zum damaligen Zeitpunkt wurde aber auch gefordert, so der DAV weiter, dass ein Reformbedarf nicht nur hinsichtlich der Norm des §142 StGB bestehe, sondern auch hinsichtlich der strafrechtlichen Nebenfolgen, namentlich der §§ 69, 69a StGB. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Sachschaden zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen, solle konsequenterweise auch dazu führen, dass auch erhebliche Sachschäden nicht mehr Kriterium für die Geeignetheit im Sinn des § 69 Abs. 2 Nr. 3 sind.
Grenzziehung innerhalb der Personenschäden
Der Anwaltverein begrüßt demnach den Plan, das Nachtatverhalten bei reinen Sachschäden nicht mehr strafrechtlich zu betrachten, sondern "lediglich" als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. Sinnvoll erscheint hier laut DAV jedoch auch eine Einbeziehung bei leichten Personenschäden vorzunehmen. Leichteste Verletzungen wie häufig anzutreffende Hämatome oder HWS-Verletzungen (Verletzung der Hals-Wirbelsäule) ohne wesentliche körperliche Beeinträchtigung könnten ähnlich zu betrachten sein wie reine Sachschäden.
Subjektiver Tatbestand klarer fassen
Bei einer Reform des §142 StGB sollte auch der subjektive Tatbestand klarer gefasst werden, heißt es in der Stellungnahme weiter. Für den Unfallflüchtigen sollte nicht nur erkennbar sein, dass er Beteiligter eines Unfalles ist, sondern er müsse auch mindestens billigend in Kauf genommen haben, dass ein Personenschaden eintreten könnte. Die Reform sollte zum Anlass genommen werden, den an keiner anderen Stelle im StGB beschriebenen Wissensstand in § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB "wissen kann" aufgrund der damit verbundenen Auslegungs- und Beweisschwierigkeiten zu streichen. Der Anwaltverein sieht auch Änderungsbedarf bei der in §142 Abs. 4 StGB vorgesehenen tätigen Reue, wenn die Feststellungen nachträglich ermöglicht werden. Da der Straftatbestand gerade dem Schutz des Geschädigten zur Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche dient, sollte die Möglichkeit einer tätigen Reue stets vorgesehen und nicht nur auf den ruhenden Verkehr beschränkt sein, zumal auch die Differenzierung zwischen dem ruhenden Verkehr und fließenden Verkehr in der Rechtsprechung und Schrifttum sehr umstritten ist.
Auch Wartefrist sollte auf den Prüfstand
Besondere Unsicherheiten bestehen laut DAV auch hinsichtlich der in §142 Abs. 1 Nr. 2 StGB bislang vorgesehenen Wartefrist. Es lasse sich hier in der Rechtsprechung keine einheitliche Linie feststellen, wann und unter welchen Umständen welche Wartefrist angemessen ist. Zum Teil scheine sie willkürlich zu sein, wenn betrachtet wird, dass es durchaus Unfälle gebe, bei denen mit dem Erscheinen einer feststellungsbereiten Person nahezu überhaupt nicht gerechnet werden könne. Dies gelte beispielsweise bei Unfällen mit Bäumen, Leitplanken oder Tieren. Hier insbesondere nachts eine Wartefrist vom Geschädigten zu verlangen, führe eher zu einer Gefährdung der Verkehrssicherheit, weil sich ein Geschädigter länger als unbedingt notwendig im öffentlichen Verkehrsraum befinde und selbst bei ordnungsgemäßer Sicherung der Unfallstelle eine Gefahrenstelle schaffe. Wünschenswert wäre an dieser Stelle vielmehr eine einheitliche Meldestelle zu schaffen, bei der Unfallbeteiligte bei Fehlen feststellungsberechtigter Personen unmittelbar ein Unfallereignis melden und ihre Personalien hinterlassen können, um sodann auch die Unfallstelle verlassen zu können.