Kleines Slowenien nimmt Anlauf für große EU-Reform

Ungarns Regierungschef Viktor Orban spricht als EU-Dauerkritiker mal wieder vom "unglücklichen und pharisäerhaften Europa", dessen "Schicksal an einem Strohhalm hängt". Das kleine Euroland Slowenien hält jetzt dagegen. Unter Führung seines Staatspräsidenten Borut Pahor haben Intellektuelle und Politiker die "Ljubljana-Initiative" aus der Taufe gehoben. Ihr Ziel: Die kränkelnde Union soll von Grund auf reformiert werden. Und dazu wurde gleich ein kompletter "Entwurf einer EU-Verfassung" vorgelegt.

Reformvorschläge haben Konjunktur

Von einer existenziellen Krise ist derzeit fast überall in der EU die Rede, und auch Reformvorschläge aller Art haben Konjunktur – eben nicht nur in Brüssel, sondern auch in den entlegenen Ecken der Gemeinschaft. Für die slowenischen Vordenker liegt jedenfalls auf der Hand, warum ihr grundlegender Reparaturvorschlag berechtigt ist: Die jahrelange Finanzkrise bedrohe den Euro, Terrorismus und illegale Immigration schafften neue existenzbedrohende Probleme, heißt es als Begründung der Initiative. Eine exzessive EU-Bürokratie, fehlende demokratische Legitimation der Entscheidungsträger, unklare Machtverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedsstaaten sowie der Brexit verschärften die Lage.

Vorschlag für Text einer EU-Verfassung

Juraprofessor Peter Jambrek (77), ehemaliger Präsident des slowenischen Verfassungsgerichts mit vielen Funktionen im EU-Rechtssystem sowie Lehrender an den renommiertesten US-Universitäten, hatte schon 2016 den Text einer EU-Verfassung vorgelegt. Der slowenische Präsident macht ihn sich jetzt zu eigen und hat ihn am 10.01.2017 bereits auch dem neuen österreichischen Bundespräsident Alexander Van der Bellen vorgestellt. "Ich begrüße diese Initiative ausdrücklich", reagierte der, denn "so wie bisher kann es nicht weitergehen".

Europäische Staatsbürgerschaft und direkte Wahl des EU-Präsidenten vorgeschlagen

Zu den Kernpunkten des Vorschlages gehören unter anderem die Schaffung einer europäischen Staatsbürgerschaft sowie die Zulassung europaweiter Parteien. Das EU-Parlament soll nach dem Vorschlag aus zwei Kammern bestehen: der direkt gewählten Versammlung der Bürger und der Nationenkammer als Vertretung der Mitgliedsstaaten. Deren Mitglieder sollen von den nationalen Parlamenten bestimmt werden. Ein mit sehr weitgehenden Kompetenzen ausgestatteter EU-Präsident soll von den Bürgern direkt gewählt werden.

Verlassen der EU soll einfacher werden

Die Initiatoren wollen die Kompetenzen Brüssels beschneiden, doch soll die Zentrale für den Schutz und die Kontrolle der EU-Außengrenzen sowie den Zoll zuständig sein. Neue Mitglieder sollen ihr Gesuch sowohl vom EU-Parlament als auch den nationalen Volksvertretungen absegnen lassen müssen. Die Prozeduren zum Verlassen der EU sollen vereinfacht werden.

Bundesregierung bislang skeptisch

Die Vorschläge sind nach Angaben der Initiatoren bereits der sogenannten Venedig-Kommission vorgelegt worden. Diese berät den Europarat in verfassungsrechtlichen Fragen und habe ebenfalls positiv reagiert. Als nächster Schritt wird Pahor Anfang Februar 2017 in Berlin vorstellig. Die Bundesregierung war allerdings bisher skeptisch gegenüber Änderungen der EU-Verträge. Denn damit werde die "Büchse der Pandora" geöffnet, mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft der Gemeinschaft, heißt es.

Initiatoren setzen auf Unterstützung in den Mitgliedsländern

Auch "von Brüssel und vor allem vom EU-Kommissionspräsidenten können wir keine Unterstützung erwarten", sagt der frühere slowenische Außenminister Dimitrij Rupel. Die Initiatoren hoffen auf Unterstützung in den Mitgliedsländern.

Redaktion beck-aktuell, Thomas Brey, 1. Februar 2017 (dpa).

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