Lambrecht äußert sich zu Corona-Einschränkungen, Hatespeech und Studie über Racial Profiling
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© Michael Sohn / POOL AP / dpa

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will Lehren aus den Einschränkungen der Freiheitsrechte in der Corona-Krise ziehen. Dies sagte die SPD-Politikerin am 06.07.2020 vor einer Videokonferenz mit ihren EU-Amtskollegen, in der es auch um Hass und Hetze im Internet ging. Hier deutete sich auf EU-Ebene Bewegung an. Zudem widersprach Lambrecht Innenminister Horst Seehofer (CSU) und sprach sich für eine Studie zu Rassismus in der Polizeiarbeit aus.

Lambrecht: Freiheit gehört zu Grundlagen der Werteordnung

"Es geht nicht nur, aber auch um die Zeit dieser Pandemie, sondern es geht auch um andere Krisen", sagte Lambrecht. "Es muss ganz klar zum Ausdruck kommen, dass Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie die Grundlagen unserer Werteordnung in der Europäischen Union sind." Die Entscheidung, Freiheitsrechte einzuschränken, müsse immer verhältnismäßig und abgewogen sein. Während der Pandemie hatten Deutschland und viele andere EU-Staaten zum Schutz der Gesundheit die Freiheitsrechte der Bürger eingeschränkt.

Umgang mit Hass, Hetze und Verschwörungstheorien thematisiert

Die Beratungen der Justizminister waren die erste Ministerrunde, seit Deutschland am 01.07.2020 die sechsmonatige EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Geleitet wurde die Videokonferenz von Lambrecht. Sie machte auch den Umgang mit Hass, Hetze und Verschwörungstheorien im Internet zum Thema der Beratungen. Gerade in Krisenzeiten ließen Menschen sich auf Gerüchte und Verschwörungstheorien ein, sagte Lambrecht. "Solche Verschwörungstheorien können lebensgefährlich sein." Zudem würden einzelne Personengruppen angegriffen. "Das dürfen wir nicht zulassen", so die Ministerin. Aber auch die Meinungsfreiheit müsse geschützt werden. In Deutschland haben Bundestag und Bundesrat gerade ein neues Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Internet beschlossen.

EU-Kommissarin würde europäische Lösung bevorzugen

Der deutsche Alleingang im Kampf gegen Hass und Hetze im Internet stößt bei der EU-Kommission auf Vorbehalte. "Ich verberge nicht, dass wir für die Europäische Union eine paneuropäische Lösung möchten", sagte Vizepräsidentin Vera Jourova am Rande der Videokonferenz. Dies bedeute, dass die EU-Staaten nicht ihre jeweils spezifischen Gesetze haben sollten. Zugleich stellte Jourova EU-weit verpflichtende Vorgaben für Online-Netzwerke in Aussicht. Es sei wichtig, von den deutschen Erfahrungen zu lernen. Die EU-Kommission setzt bislang eher auf freiwillige Kooperation und Transparenz der Online-Netze. 2016 unterzeichneten Facebook, Microsoft, Twitter und YouTube einen freiwilligen Verhaltenskodex gegen illegale Hassrede.

Künftig mehr rechtliche Regeln statt Freiwilligkeit

Jourova deutete nun ein Umdenken an: "Wir würden die Verantwortung der Plattformen und die Transparenz dessen, was in ihren Systemen geschieht, gerne erhöhen." Es brauche mehr rechtliche Sicherheit und Regeln, die für alle gälten. Dies könne nicht davon abhängen, ob die Unternehmen aus einer Art gesellschaftlicher Verantwortung freiwillig handelten. Dies solle ihrer Ansicht nach unter anderem Teil des Gesetzes für digitale Dienste sein, für das die EU-Kommission Ende des Jahres einen Vorschlag vorlegen will. Elementarer Grundsatz bleibe jedoch stets die Redefreiheit.

Justizministerin pocht auf Studie zu Rassismus in Polizeiarbeit

Lambrecht möchte zudem anders als Innenminister Horst Seehofer (CSU) an der ursprünglich geplanten Studie zu sogenanntem Racial Profiling bei der Polizei festhalten. Von Racial Profiling spricht man, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Haarfarbe oder anderer äußerer Merkmale, aber ohne konkreten Anlass, kontrolliert werden. Das Innenministerium hatte am Wochenende bekanntgegeben, auf eine Studie dazu zu verzichten. "Deswegen werde ich auch mit dem Kollegen nochmal darüber sprechen, ob so eine Studie auch im Sinne all derjenigen, die auf festem Boden unser Grundordnung stehen, in deren Interesse wäre", sagte Lambrecht am 06.07.2020 im ARD-"Morgenmagazin". "Es geht überhaupt nicht darum, irgendjemanden unter einen Generalverdacht zu stellen. Sondern es geht darum, einfach Sachstand zu ermitteln und zu wissen, wo wir stehen und wie wir auch gegensteuern können." Ihr Haus sei dafür zwar nicht zuständig. "Es wäre aber wichtig, dass wir diese Studie durchführen könnten."

Seehofer sieht Fälle des Racial Profiling als "absolute Ausnahmefälle"

Die Studie war von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) in ihrem aktuellen Bericht über Deutschland empfohlen worden. Mitte Juni 2020 sah alles danach aus, als würde sie in Auftrag gegeben. Beide Ministerien seien "in der konzeptionellen Entwicklung für eine Studie zu Racial Profiling in der Polizei", hieß es damals vom Innenressort. Am Wochenende begründete das Ministerium Seehofers gegenteilige Entscheidung unter anderem damit, dass Racial Profiling in der polizeilichen Praxis verboten ist. "Insbesondere Personenkontrollen müssen diskriminierungsfrei erfolgen", teilte ein Sprecher mit. "Weder die Polizeigesetze des Bundes noch die einschlägigen Vorschriften und Erlasse erlauben eine solche Ungleichbehandlung von Personen." Entsprechende Vorkommnisse seien absolute Ausnahmefälle. Zuvor hatte Seehofer bereits im Innenausschuss des Bundestags nach Angaben von Teilnehmern gesagt, seines Wissens sei eine solche Studie nicht von seinem Haus in Auftrag gegeben worden. Er könne aber nicht ausschließen, dass ein Mitarbeiter so etwas veranlasst habe.

Redaktion beck-aktuell, 6. Juli 2020 (dpa).