Corona-Krise lässt Zahl der Eilanträge an das BVerfG auf Rekordwert steigen

Keine normale Schule, kein normales Reisen, kein normales Leben - noch nie waren die Grundrechte so stark eingeschränkt wie in der Corona-Pandemie. Das spürt auch das Bundesverfassungsgericht. Im vergangenen Jahr gingen 271 eigenständige Eilanträge in Karlsruhe ein - so viele wie noch nie seit Einführung der elektronischen Statistik und höchstwahrscheinlich auch davor. 72 davon hatten mit Corona zu tun.

Die meisten Corona-Eilanträge erfolglos

Dazu kamen 239 Verfassungsbeschwerden zu Corona, von denen noch einmal 169 mit einem Eilantrag verbunden waren, wie das Bundesverfassungsgericht mitteilte. Zum Vergleich: 2019 waren beim Gericht 194 reine Eilanträge eingegangen, und das war schon einer der höchsten Werte überhaupt. Der bisherige Rekord wurde 2018 mit 213 Eilanträgen verzeichnet. Die allermeisten Corona-Eilanträge blieben allerdings ohne Erfolg. 66 der 72 isolierten Eilverfahren sind schon abgeschlossen. Dabei wurden 64 Anträge abgelehnt oder sie erledigten sich von selbst. Nur zwei Eilanträgen gaben die Richter statt. Von den 169 Eilanträgen, die zusammen mit einer Verfassungsbeschwerde gestellt wurden, war bisher nur einer erfolgreich. 148 dieser Anträge wurden bereits abgelehnt oder erübrigten sich. Bei den drei erfolgreichen Eilanträgen ging es um allzu pauschale Gottesdienst- oder Demonstrationsverbote.

Lebensschutz stand den meisten Eilanträgen entgegen

Von den 239 Verfassungsbeschwerden sind nur noch 45 anhängig. 194 Verfahren nahmen die Richter nicht zur Entscheidung an oder sie erübrigten sich. Stattgegeben wurde hier noch keiner einzigen Corona-Klage, die Prüfung braucht Zeit. Es ist also durchaus denkbar, dass Kläger noch im Nachhinein Erfolg haben, wenn die Pandemie womöglich schon ausgestanden ist. Bei den Eilanträgen hatte so gut wie immer der Lebensschutz als überragend hohes Verfassungsgut Vorrang. In einigen Corona-Eilentscheidungen heißt es aber ausdrücklich, dass die Erfolgsaussichten der eigentlichen Verfassungsbeschwerde offen seien, sie müsse genauer geprüft werden.

Inhaltlich große Bandbreite der Beschwerden

Inhaltlich ist die Bandbreite groß: Bürger wehren sich gegen Kontaktbeschränkungen, geschlossene Kitas und Schulen, Testpflichten oder Quarantäne-Auflagen. Kinos, Restaurants oder Hotels wollen wieder öffnen oder zumindest für ihre Einbußen einen finanziellen Ausgleich bekommen. Eine Kläger-Gruppe kämpft dafür, dass gesetzlich geregelt wird, wer vorrangig behandelt würde, wenn Intensivstationen an Grenzen stoßen und Beatmungsgeräte knapp werden.

571 Anträge scheiterten an Eintrag ins Verfahrensregister

Die Zahl der Corona-Eilanträge und Verfassungsbeschwerden bildet nur einen Ausschnitt ab. Denn längst nicht alle Eingänge erfüllen die Voraussetzungen, um ins Verfahrensregister eingetragen und an die Richter weitergeleitet zu werden. Diese Anträge landen im sogenannten Allgemeinen Register. Dort waren Ende 2020 noch einmal 571 Anträge erfasst. Insgesamt gab es also sogar 882 Eingänge zu Corona. Außerdem ist seit Anfang November noch eine Organklage der AfD-Fraktion wegen der Maskenpflicht im Bundestag anhängig. Wie viele Verfassungsbeschwerden das Gericht im vergangenen Jahr insgesamt erreichten, ist noch nicht bekannt. Die vollständige Statistik wird üblicherweise im Februar oder März veröffentlicht. 2019 wurden 5.158 Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe eingereicht.

Redaktion beck-aktuell, 12. Januar 2021 (dpa).