Zurechnung von Anwaltsverschulden im Disziplinarverfahren

Versäumt ein Prozessbevollmächtigter schuldhaft die Revisionsbegründungsfrist in einer beamtenrechtlichen Disziplinarsache, ist dem Beamten dieser Fehler zuzurechnen. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren entschieden, in dem der Beamte aus dem Dienst entfernt worden war. Die Neuausrichtung des Gesetzgebers – weg von den Regeln der Strafprozessordnung und hin zur Zivilprozessordnung – sei sachgerecht und verfassungsgemäß.

Revisionsbegründungsfrist verpasst

Ein verbeamteter Biologieprofessor an einer Hochschule wurde wegen Betrugs und Subventionsbetrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten verurteilt. Daraufhin wollte das Land Nordrhein-Westfalen, das auch einen Bezug der Taten zu der Lehranstalt sah, ihn aus dem Dienst entfernen. Das Verwaltungsgericht Münster lehnte die schwere Disziplinarstrafe ab und verurteilte das Land, lediglich die Dienstbezüge zu kürzen. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster aber beschloss seine Entfernung aus dem Dienst. Die Revision des Beamten wurde vom Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Der beauftragte Prozessbevollmächtigte versäumte die Revisionsbegründungsfrist um mehr als einen Monat und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – vergeblich.

Anwalt versäumte Frist schuldhaft

Das BVerwG sah die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1, 2 Satz 1 VwGO, wonach einem Verfahrensbeteiligten auf Antrag die Wiedereinsetzung gewährt werden kann, wenn er ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten, nicht als erfüllt an. Der Anwalt hat den Leipziger Richtern zufolge gleich drei Fehler begangen: Er habe sich die Eingangspost nicht vorlegen lassen, nicht zwischen einer bloßen Schriftsatzfrist und einer Revisionsbegründungsfrist nach § 139 Abs. 3 Satz 1 VwGO unterschieden und keine Vorfrist für die rechtzeitige Bearbeitung der Sache in den Kalender eintragen lassen. Er habe nicht glaubhaft dargelegt, warum diese Fehler ausnahmsweise alle zugleich ohne sein Verschulden eingetreten seien.

Anwaltsverschulden dem Beamten zurechenbar

Dieses Verschulden sei dem Kläger selbst nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Die Handhabung vor Änderung der Bundesdisziplinarordnung im Jahr 2002, noch entsprechend den Grundsätzen der StPO das Verschulden des Anwalts der Partei selbst nicht zuzurechnen, sei inzwischen überholt: Nach § 3 BDG – und den entsprechenden Landesgesetzen – seien nunmehr für das Disziplinarverfahren die Vorschriften der Verwaltungsgesetze und damit die Zurechnungsnorm des § 85 Abs. 2 ZPO einschlägig.

Auch bei der schweren Folge Entfernung aus dem Dienst

Der Disziplinarsenat hält diese Regelung auch für sachgerecht: Die Ahndung disziplinarischer Verstöße verfolge andere Ziele als die Bestrafung – das Dienstordnungsrecht bezwecke die Pflichtenbindung des Beamten und schütze die Integrität und Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. Die Kriminalstrafe hingegen bewahre die vom Gesetzgeber hervorgehobenen Rechtsgüter. Die Bemessungskriterien für die Entfernung aus dem Dienst würden nach § 13 Abs. 2 BDG wesentlich durch den Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit bestimmt und nicht vom Strafzumessungskatalog des § 46 StGB. Die Leipziger Richter halten die Rechtsfolge auch eher mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses als mit einer Freiheitsstrafe für vergleichbar.

BVerwG, Beschluss vom 23.02.2021 - 2 C 11.19

Redaktion beck-aktuell, 14. April 2021.