BVerwG erleichtert Zugang zur Präimplantationsdiagnostik
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© Waltraud Grubitzsch / dpa

Wenn für Nachkommen eines genetisch vorbelasteten Paares ein hohes Risiko besteht, an einer bestimmten Erbkrankheit – der klassischen Form der Myotonen Dystrophie Typ 1 – zu erkranken, kann die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt sein. Mit diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht einer Frau Recht gegeben, die gegen die Bayerische Ethikkommission geklagt hatte. Es hat auch klargestellt, dass Entscheidungen dieser Gremien gerichtlich voll überprüfbar sind.

Angst vor "Selektion"

Genetische Untersuchungen in der Schwangerschaft aus Angst vor Erbkrankheiten sind ethisch nicht unumstritten, aber prinzipiell erlaubt: Pränatale Bluttests auf Trisomien wie das Down-Syndrom (früher Mongolismus genannt) werden auch teilweise von den Krankenkassen bezahlt. Sehr viel strenger geregelt ist nicht nur hierzulande die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der ein durch künstliche Befruchtung (in vitro) erzeugter Embryo vor dessen Einpflanzung in die Gebärmutter der Frau analysiert wird. Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) droht mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe, wenn jemand solche Zellen aus dem Reagenzglas vor dem "intrauterinen Transfer" begutachtet. Dahinter steckt die Sorge vor einer "genetischen Selektion" und dem Versuch, einen "Idealmenschen zu züchten". Eine Ausnahme gilt bei einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Tot- oder Fehlgeburt und ferner dann, wenn "auf Grund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stammt", für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit besteht. Außerdem muss eine Ethikkommission zugestimmt haben.

Strenge Vorinstanzen

Vor dem VG und dem VGH München hatte die Klägerin verloren. Bei ihrem Partner liege zwar eine "Anlageträgerschaft" für eine Myotone Dystrophie (Typ 1) vor, und er leide bereits an Symptomen dieser Muskelerkrankung, die sich unter anderem durch Schwäche in den Beinen zeigt. Sein Onkel ist daran sogar gestorben. Doch zeige sie sich oft erst im höheren Lebensalter - zumal bei einer Vererbung durch den Vater. Dass die Frau sich Kinder wünsche, aber vor einer Pränataldiagnostik und einem möglichen Schwangerschaftsabbruch fürchte, reichte den Kommissionsmitgliedern ebensowenig wie den Vorinstanzen für eine Zustimmung aus. Nach der mündlichen Verhandlung am 14.10. hatten sich die Leipziger Richter erst einmal drei Wochen Bedenkzeit eingeräumt.

Ethikkommission muss nachgeben

Nun verpflichteten sie den Freistaat Bayern dazu, den Antrag auf Durchführung einer PID "zustimmend zu bewerten". Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung der Ethikkommission, weil für ihre Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit bestehe. Hinsichtlich des Vorliegens dieser Voraussetzungen sei dem Gremium auch kein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Dessen Entscheidung unterliege der vollen Überprüfung durch die Justiz.

Verschiedene Maßstäbe

Dabei setzte das BVerwG einen weniger strengen Maßstab an als zuvor der Bayerische Verwaltungsgerichtshof. Den Bundesrichtern zufolge lässt sich aus § 3 ESchG, der eine Geschlechtswahl außer bei einer Krankheit vom Schweregrad der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne (DMD) verbietet, nicht ableiten, dass diese Hürde auch für das grundsätzliche Verbot der PID gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 ESchG gilt. Denn dagegen sprächen der unterschiedliche Wortlaut und Regelungszweck der beiden Normen. Nach der Gesetzesbegründung zu § 3a ESchG seien Erbkrankheiten insbesondere schwerwiegend, wenn sie sich durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des Krankheitsbilds und eine schlechte Behandelbarkeit von anderen Erbkrankheiten wesentlich unterscheiden.

Alle Umstände berücksichtigen

Über die Zulässigkeit der PID sei daher in jedem Einzelfall gesondert zu entscheiden. Dabei seien auch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen - etwa wenn die Eltern bereits ein Kind mit der schweren Erbkrankheit haben oder die Frau nach einer Pränataldiagnostik und ärztlichen Beratung einen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218a Abs. 2 StGB hat vornehmen lassen. Oder wenn das Elternteil mit der genetischen Disposition selbst daran erkrankt ist.

Samenspender bereits erkrankt

Das gab für die Bundesrichter hier den Ausschlag. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachkommen der Klägerin und ihres Partners an der klassischen Form der Myotonen Dystrophie Typ 1 erkranken, liege bei 50%. Es handele sich um eine "multisystemische Erkrankung", die nicht nur die Skelettmuskulatur, sondern auch Auge, Herz, Zentralnervensystem und den Hormonhaushalt betreffen könne. Die Symptome beginnen demnach in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Die Krankheit verlaufe progredient, verschlimmere sich also im Lauf der Zeit. Betroffene hätten mit erheblichen Beeinträchtigungen in der Lebensgestaltung und einer geringeren Lebenserwartung zu rechnen. Hinzu komme, dass der Mann bereits deutliche Symptome der Erkrankung zeige.

BVerwG, Urteil vom 05.11.2020 - 3 C 12.19

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 5. November 2020.