Wählbarkeit zu Integrationsbeirat auch bei nicht gesichertem Aufenthaltsrecht

Das Ziel, eine kontinuierliche Mitwirkung im Integrationsbeirat zu gewährleisten, rechtfertigt es nicht, die Wählbarkeit von Personen mit Migrationshintergrund von einem gesicherten Aufenthaltsrecht abhängig zu machen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht gestern im Rahmen einer Revision zugunsten zweier Antragsteller mit Duldungsstatus entschieden. Die Leipziger Richter sahen das Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt.

Landkreis ändert Regel zu Wählbarkeit

Im Oktober 2015 bildete der Landkreis Leipzig einen Integrationsbeirat. Nach der dazu erlassenen Vorschrift gehörten zu den zu wählenden Mitgliedern unter anderem zwei im Landkreis lebende Personen mit Migrationshintergrund. Im September 2018 wurde die Vorschrift dahin geändert, dass zum Integrationsbeirat drei Einwohner mit Migrationshintergrund zu wählen seien, die über die deutsche Staatsangehörigkeit oder ein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügen, nämlich eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis oder eine unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung. Der Aufenthalt der im Landkreis wohnenden Antragsteller wird seit vielen Jahren geduldet.

OVG stört sich nicht an Erfordernis gesicherten Aufenthaltsrechts

Das Oberverwaltungsgericht Sachsen in Bautzen hat ihren Normenkontrollantrag gegen die Einschränkung der Wählbarkeit zum Integrationsbeirat abgelehnt (BeckRS 2020, 29734). Die Benachteiligung von Personen ohne gesichertes Aufenthaltsrecht sei am Willkürverbot zu messen. Sie sei nicht zu beanstanden, weil bei Ausländern ohne gesichertes Aufenthaltsrecht grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie mittel- oder längerfristige Vorhaben der Integrationsarbeit begleiten könnten.

BVerwG: Kriterium gesicherten Aufenthaltsrechts untauglich

Diese Einschätzung teilt das BVerwG nicht. Die hier vorgenommene Beschränkung der Wählbarkeit zum Integrationsbeirat verletze das Grundrecht auf Gleichbehandlung und sei deshalb unwirksam. Die Beschränkung sei nicht nur am Willkürverbot, sondern am strengeren Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu messen, weil sie an ein für die Betroffenen kaum zu beeinflussendes Merkmal – den rechtlichen Aufenthaltsstatus – anknüpfe, so die BVerwG-Richter. Die angegriffene Regelung benachteilige demnach Personen mit Migrationshintergrund, die über kein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügen. Sie diene zwar einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck, weil sie darauf ziele, eine kontinuierliche Mitwirkung der Gewählten im Beirat zu sichern. Das Unterscheidungskriterium des gesicherten Aufenthaltsrechts sei aber nicht geeignet, dieses Ziel zu verwirklichen, so die Richter.

Merkmal lässt keine Rückschlüsse auf Aufenthaltsdauer zu

Die BVerwG-Richter weisen darauf hin, dass das Unterscheidungsmerkmal "gesichertes Aufenthaltsrecht" keine Rückschlüsse auf die voraussichtliche Dauer des Aufenthalts im Landkreis erlaube. So würden die für die Aufenthaltsdauer wesentlichen rechtlichen Möglichkeiten zur Verlängerung und Verfestigung des Aufenthalts hier ausgeblendet. Gleiches gelte für die tatsächlichen Umstände des Aufenthalts. So könne sich bei einer Duldung zu Ausbildungszwecken oder wegen eines langjährigen Kriegs oder Bürgerkriegs im Herkunftsstaat ebenfalls eine voraussichtlich längere Aufenthaltsdauer ergeben, heißt es dazu im mitgeteilten Urteil weiter.

BVerwG, Urteil vom 29.11.2022 - 8 CN 1.22

Gitta Kharraz, 30. November 2022.