BVerwG: Vorsorgliche Brustdrüsenentfernung bei erhöhtem Brustkrebsrisiko im Einzelfall beihilfefähig

Das wegen familiärer Vorbelastung und einer Genmutation erhöhte Risiko einer Frau, an Brustkrebs zu erkranken, kann eine Krankheit im beihilferechtlichen Sinn darstellen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 28.09.2017 klargestellt. Zu berücksichtigen sei neben dem statistischen Lebenszeitrisiko auch das individuelle Risiko, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erkranken. Im entschiedenen Fall reichten dem BVerwG die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts für eine eigene Entscheidung aber nicht aus. Es hat deshalb die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (Az.: 5 C 10.16).

BRCA2-Genmutation festgestellt

Die 1975 geborene Klägerin ist beihilfeberechtigte Beamtin des Landes Hessen. Zwei ihrer Verwandten in direkter mütterlicher Linie waren an Brustkrebs erkrankt. Bei ihr besteht eine BRCA2-Genmutation, die ein erhöhtes Risiko begründet, an Brustkrebs zu erkranken. Deshalb wurde sie als Hochrisikopatientin eingestuft. Ihr Ersuchen auf Übernahme der Kosten einer vorsorglichen operativen Brustdrüsenentfernung und nachfolgender Implantatrekonstruktion im Rahmen der beamtenrechtlichen Beihilfegewährung wurde abgelehnt. Während des erstinstanzlichen Klageverfahrens ließ sich die Klägerin operieren. Die Klage war in beiden Vorinstanzen erfolgreich. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass der beihilferechtliche Krankheitsbegriff im Licht der verfassungsrechtlich verankerten Fürsorgepflicht des Dienstherrn auch ein deutlich erhöhtes Brustkrebsrisiko erfasst. Diese Konstellation sei bei der Klägerin gegeben. Bei ihr bestehe eine Wahrscheinlichkeit von etwa 80% an Brustkrebs zu erkranken.

Beeinträchtigung körperlicher oder geistiger Funktionen als grundsätzliche Voraussetzung

Wie das BVerwG in seinem Urteil betonte, setze der geltend gemachte Beihilfeanspruch das Vorliegen einer Krankheit voraus. Der beihilferechtliche Krankheitsbegriff decke sich im Grundsatz mit dem entsprechenden Begriff im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, wie er durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelt worden ist. Danach sei – neben anderen Voraussetzungen – grundsätzlich nur krank, wer in seinen körperlichen oder geistigen Funktionen beeinträchtigt ist. Bei der nicht an Brustkrebs erkrankten Klägerin fehle es zwar an einer Funktionsbeeinträchtigung.

Konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung ausreichend

Das BSG habe aber in Fällen eines erhöhten Erkrankungsrisikos verschiedentlich auch ohne aktuelle Funktionsbeeinträchtigung das Vorliegen einer Krankheit angenommen. Dies berücksichtigend liege eine Krankheit im beihilferechtlichen Sinn auch dann vor, wenn die auf Tatsachen gestützte konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung besteht und die schädigenden Folgen, die im Fall des Ausbruchs der Krankheit einträten, so schwer sind, dass die Behandlungsbedürftigkeit bereits vor Realisierung der Gefahr zu bejahen ist, weil der Betroffenen bei wertender Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken.

Individuelles Risiko maßgeblich

Insoweit ist hier nach Auffassung des BVerwG nicht nur das statistische Lebenszeitrisiko zu berücksichtigen, also die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der üblichen Lebensspanne an Brustkrebs zu erkranken. Jedenfalls auch in den Blick zu nehmen seien das individuelle Risiko, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erkranken, und das Vorhandensein von Früherkennungsmaßnahmen, die hinreichend sensitiv sind, um bei festgestellter Brustkrebserkrankung gute Heilungschancen zu bieten. Aus Verfassungsrecht, insbesondere der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, würden sich keine anderen Voraussetzungen für die Bewertung eines Erkrankungsrisikos als Krankheit ergeben. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts würden für die erforderliche wertende Gesamtbetrachtung allerdings nicht ausreichen. Deshalb sei die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen, entschied das BVerwG.

BVerwG, Urteil vom 28.09.2017 - 5 C 10.16

Redaktion beck-aktuell, 29. September 2017.

Mehr zum Thema