Vielzahl von Anfragen nach dem IFG kein Rechtsmissbrauch
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Große Neugier ist noch kein Rechtsmissbrauch. Das hat das Bundesverwaltungsgericht einem Erfinder bescheinigt, der das Bundeswirtschaftsministerium dermaßen mit Fragen überhäuft hatte, dass es weitere Auskünfte nach dem Informationsfreiheitsgesetz ablehnen wollte. Der Tüftler hatte sich geärgert, dass er bei einem Förderprogramm für die Luftfahrtforschung nicht berücksichtigt worden war. Noch offen ließen die Leipziger Richter hingegen den Fall einer pleite gegangenen Werft, die Auskünfte über Subventionen verlangt hatte.

Dieselmotor für Kleinflugzeuge

Der Erfinder eines Zweitakt-Dieselmotors für Kleinflugzeuge hatte dem Bundeswirtschaftsministerium mehr als 140 Anträge nach dem IFG zu einem Förderprogramm für die Luftfahrtforschung geschickt, bei dem er nicht berücksichtigt worden war, ferner mehr als 150 Dienstaufsichtsbeschwerden. Schließlich lehnten die Beamten weitere Auskünfte wegen "Rechtsmissbrauchs" ab. Doch schon das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (NVwZ 2018, 1886) befand in der Vorinstanz und in Einklang mit dem Verwaltungsgericht Berlin (BeckRS 2018, 35730): "Allein eine Vielzahl von Anträgen, die Beharrlichkeit ihrer Verfolgung und das erkennbare Ziel einer vollständigen Durchdringung eines bestimmten Tätigkeitsfeldes oder Aufgabenbereichs einer Behörde und der damit verbundene Aufwand für die in Anspruch genommene Behörde rechtfertigen die Annahme eines Rechtsmissbrauchs noch nicht."

Entscheidung zugunsten des Erfinders

Dem schlossen sich am 15.12.2020 die obersten Verwaltungsrichter an. Zwar könne einem Antrag durchaus der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden, obwohl das IFG keine Missbrauchsklausel enthalte. Die Ablehnung eines Informationszugangsantrags wegen Rechtsmissbrauchs müsse sich aber wegen des grundrechtlichen Schutzes der Informationsfreiheit auf Extremfälle beschränken. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Ein missbräuchliches Informationsbegehren ist demnach nur anzunehmen, wenn positiv festgestellt wird, dass es einem Antragsteller in Wirklichkeit nicht um die begehrte Information geht. Das war aus Sicht der Bundesrichter aber nicht der Fall: Das Berufungsgericht habe vielmehr festgestellt, dass der Mann ein sachliches Informationsinteresse habe.

Werft in Insolvenz

Etwas komplizierter lag die Klage einer inzwischen insolventen Werft aus Mecklenburg-Vorpommern, über die das BVerwG ebenfalls am 15.12.2020 entschied. Die ehemalige Hauptgesellschafterin der Werft verlangt Einblick in Sitzungsprotokolle über Förderentscheidungen des Bundes sowie des Küstenlandes Mecklenburg-Vorpommern; ferner in Papiere, die eine mit der Abwicklung der Werftenförderung beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erarbeitet hat. Auch diesen Antrag lehnte das Bundeswirtschaftsministerium weitgehend ab. Die Vorinstanzen gaben dem Wunsch überwiegend statt (OVG Berlin-Brandenburg, BeckRS 2019, 28208; VG Berlin, BeckRS 2018, 35730), doch die Leipziger Richter schickten den Fall zurück an das OVG Berlin-Brandenburg.

Interessen von Wirtschaftsprüfern und Öffentlichkeit

Einerseits, so das BVerwG, könne sich die Beklagte als "Herrin des Geheimnisses" nicht auf das Berufsgeheimnis der von ihr und dem Land Mecklenburg-Vorpommern mandatierten Wirtschaftsprüfer berufen. Die begehrten Informationen unterlägen auch keiner durch Rechtsvorschrift geregelten Vertraulichkeitspflicht; dem 2014 in Kraft getretenen Werftenförderungsgesetz von Mecklenburg-Vorpommern lasse sich für die zwischen 2009 bis 2012 erstellten Unterlagen keine solche Pflicht entnehmen. Andererseits fehle es bislang an tatsächlichen Feststellungen dazu, ob mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft eine Vertraulichkeitsabrede getroffen wurde - und ob zumindest hinsichtlich eines Teils der Unterlagen Umstände vorlägen, die nicht nur ein berechtigtes Interesse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, sondern auch ein dringliches öffentliches Interesse an einer vertraulichen Behandlung rechtfertigen.

BVerwG, Urteil vom 15.12.2020 - 10 C 24.19

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 16. Dezember 2020.