Rechtsfolgen unterlassener Anhörung im Asylverfahren
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Unterlässt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im behördlichen Asylverfahren die persönlich Anhörung des Antragstellers, darf das Gericht im Klageverfahren die Anhörung selbst unter Wahrung unter anderem der gebotenen Vertraulichkeit nachholen, dem BAMF die Gelegenheit belassen, die unterlassene Anhörung nachzuholen, oder den angefochtenen Unzulässigkeitsbescheid aufheben, damit das BAMF nach fehlerfreiem Verfahren eine neuerliche Entscheidung über den Asylantrag trifft. Das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.

Konkrete Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen

Bei der Betätigung seines weiten Verfahrensermessens hat das Gericht dabei laut BVerwG die konkreten Umstände des Einzelfalles, insbesondere die bisherige Verfahrensdauer und das Ausmaß der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung zu berücksichtigen.

Asylantragsteller moniert unterbliebene Anhörung

Im konkreten Fall wandte sich der Kläger, dem unter anderen Personalien in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und ein bis Februar 2015 gültiger Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt worden war, gegen die ohne vorherige persönliche Anhörung getroffene Feststellung des BAMF, dass ihm aufgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Klage und Berufung sind insoweit ohne Erfolg geblieben.

EuGH zur fehlenden Anhörung

Auf Vorlage des BVerwG hat der Europäische Gerichtshof im Juni 2020 entschieden, dass ein behördlicher Verstoß gegen das unionsrechtliche Gebot, den Flüchtling vor einer Unzulässigkeitsentscheidung persönlich anzuhören, nicht allein deshalb nach § 46 VwVfG als unbeachtlich erachtet werden darf, weil es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und Äußerungsmöglichkeiten im gerichtlichen Verfahren bestehen. Der Verfahrensfehler führe vielmehr zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde, soweit der Flüchtling nicht im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens in einer die gemäß Art. 15 RL 2013/32/EU geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien, unter anderem angemessene Vertraulichkeit, gewährleistenden Anhörung persönlich alle gegen die Entscheidung sprechenden Umstände hat vortragen können.

BVerwG hebt Bescheid des BAMF auf

In Umsetzung dieser Grundsätze hat das BVerwG auf die Revision des Klägers den Bescheid des Bundesamts aufgehoben. Die Feststellungsentscheidung könne nicht in eine – nach der anzuwendenden Rechtslage allein in Betracht kommende – Unzulässigkeitsentscheidung wegen anderweitiger Flüchtlingsanerkennung (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) umgedeutet werden. Denn der Kläger, der im behördlichen Verfahren nicht zu der Unzulässigkeitsentscheidung angehört worden war, sei in den Vorinstanzen hier allein durch die Möglichkeit, sich im gerichtlichen Verfahren zu äußern, und die bloße Erörterung der Sach- und Rechtslage in öffentlicher Verhandlung nicht unter Bedingungen persönlich angehört worden, die nach der Rechtsprechung des EuGH den Anforderungen des Unionsrechts genügten, so die Bundesrichter.

Anhörung durch Gericht unter Wahrung der Vertraulichkeit möglich

Mit Blick auf den Regelungsgedanken des § 46 VwVfG könne in den Tatsacheninstanzen das Gericht zwar den Antragsteller unter Wahrung der gemäß Art. 15 RL 2013/32/EU geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien selbst zu den Gründen anhören, die aus seiner Sicht einer Unzulässigkeit des Asylantrages entgegenstehen, so das BVerwG. Das Gericht müsse dann aber auch die nach Art. 15 Abs. 2 RL 2013/32/EU zu gewährleistende angemessene Vertraulichkeit wahren (etwa im Rahmen eines Erörterungs- oder Beweistermins oder bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b GVG durch einen Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Anhörung), sofern der Antragsteller nicht freiwillig, ausdrücklich und eindeutig auf die Vertraulichkeit verzichtet. Die Tatsache einer gesonderten persönlichen Anhörung und der Umstand, dass diese unter Beachtung der grundlegenden Bedingungen und Garantien des Art. 15 RL 2013/32/EU durchgeführt worden ist, müssten sich dann auch aus der Sitzungs- beziehungsweise Terminniederschrift ergeben.

Unzulässigkeitsbescheid mangels Anhörung aufzuheben

Das Gericht sei zu dieser Verfahrensweise prozessrechtlich nicht verpflichtet, so das BVerwG, sondern nur mit Blick auf seine allgemeine Prozessförderungspflicht und den aus § 46 VwVfG folgenden Rechtsgedanken berechtigt. Soweit – wie hier – auch die Beklagte eine persönliche Anhörung während des gerichtlichen Verfahrens nicht aus eigenem Entschluss oder auf Hinweis des Gerichts nachgeholt und nach erkennbarer Überprüfung des angegriffenen Unzulässigkeitsbescheides an diesem festgehalten habe, sei der Unzulässigkeitsbescheid mit der Folge aufzuheben, dass das Bundesamt – nach nunmehr unionsrechtskonformer Anhörung – erneut über den Asylantrag zu entscheiden hat.

Rechtsschutzbedürfnis bleibt bestehen

Der vom Kläger geltend gemachte, von der Beklagten bestrittene Übergang der Verantwortung für die Ausstellung des Reiseausweises für Flüchtlinge auf die Bundesrepublik Deutschland nach völkerrechtlichen Abkommen lasse das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht entfallen und berühre auch bei unterstelltem Verantwortungsübergang nicht deren Rechtmäßigkeit, heißt es im Urteil weiter. Denn im Fall eines solchen Verantwortungsübergangs gelte der in dem Erststaat anerkannte Flüchtling allein kraft der Geltung der ausländischen Statusentscheidung im Bundesgebiet als Flüchtling. Er habe daher keinen Anspruch auf neuerliche Zuerkennung des Flüchtlingsstatus durch das Bundesamt, so die Richter des BVerwG.

BVerwG, Urteil vom 30.03.2021 - 1 C 41.20

Redaktion beck-aktuell, 31. März 2021.