Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte im Mai 2021 den salafistischen Verein Ansaar International und acht seiner Teilorganisationen für aufgelöst erklärt. In den frühen Morgenstunden folgten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen in zehn Bundesländern. Die Zerschlagung von zwei Untergruppen hat das BVerwG seither bereits gebilligt – freilich aus formalen Gründen. Nun stand mit Blick auf den Dachverband die inhaltliche Begründung auf dem Prüfstand. Das BVerwG nahm sich mit fünf Verhandlungstagen und einer ausgiebigen Beweisaufnahme viel Zeit für seine Feststellungen.
"Sämtliche Verbotsgründe erfüllt"
Auch die Leipziger Richter befanden, dass Ansaar, der seit seiner Gründung im Jahr 2012 bis zum Erlass der Verbotsverfügung weit über 30 Millionen Euro an Spendengeldern vereinnahmt habe, sämtliche Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG erfülle. Der Grund der Strafgesetzwidrigkeit ist demnach gegeben, weil der Kläger terroristische Vereinigungen unterstützt habe. "Bei humanitären Hilfeleistungen in terroristisch kontrollierten Krisengebieten ist das nur anzunehmen, wenn mit den Hilfeleistungen der Tatbestand der Unterstützung terroristischer Vereinigung verwirklicht wird", teilte das BVerwG mit. Aber: "Neutralität und Unparteilichkeit der Hilfeleistungen fehlen jedenfalls dann, wenn sich die Hilfsorganisation mit den Zielen der in dem Krisengebiet herrschenden Terrororganisation identifiziert", fasst der Senat seinen Maßstab zusammen. Und das sei hier der Fall.
Mit seinen humanitären Projekten wie der Lieferung von Krankenwagen, der Verteilung von Lebensmitteln, dem Bau und Betrieb von Schulen und Krankenhäusern im Dominanzbereich der al-Nusra bzw. HTS in Syrien sowie der Al-Shabab in Somalia habe Ansaar International diese Vereinigungen unterstützt. "Derartige Hilfeleistungen sind ohne Geldzahlungen bzw. die Ablieferung von Hilfsgütern an diese Terrorgruppen unmöglich", heißt es in der Mitteilung der obersten Verwaltungsrichter. Schließlich identifiziere sich der Kläger mit den Zielen von al-Nusra bzw. HTS und Al-Shabab, vor allem mit der Errichtung eines Gottesstaats – verbunden in Bezug auf die al-Nusra zugleich mit der Vernichtung Israels – und mit der Einführung der Scharia.
Im Hinblick auf den Gazastreifen erfülle zwar nicht der Dachverband, aber die Vereinigung WWR mit ihren dortigen Projekten den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit. Denn WWR habe einen Sozialverein der HAMAS unterstützt – und damit die HAMAS unmittelbar. Zudem habe der Kläger der Terrororganisation al-Nusra – über die Zahlung generell verlangter Zwangsabgaben hinaus – mit im Ausland beschafften Geräten sowie mit nach Syrien transferierten Geldern geholfen.
Gegen Völkerverständigung und Verfassung
Diese Aktivitäten haben laut Urteil einen weiteren Grund für das Verbot geliefert: das Sichrichten gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Zumal die Organisation eine Missionierungstätigkeit ausgeübt habe, die auf die Errichtung eines Gottesstaats und die Einführung der Scharia – notfalls auch mittels Gewalt – gerichtet gewesen sei. Diese fand demnach sowohl in Ghana in einem Waisenhaus und der angegliederten Schule sowie an ihrer Hadith- und Koranakademie im türkischen Bursa statt. Deren Ziel sei es, Prediger in einem fundamentalistisch-islamistischen Sinne auszubilden, die als Multiplikatoren in ihre Heimatländer zurückkehren und dort dieses Gedankengut propagieren. Daher habe sich die Vereinigung zudem gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet, soweit die ausgebildeten Prediger auch in Deutschland tätig werden sollen.
"Die Aktivitäten, mit denen er die Verbotsgründe erfüllt, prägen den Kläger", so das Leipziger Fazit. Auch wenn der Verein zahlreiche humanitäre Projekte durchführe, die nicht im Zusammenhang mit der Verwirklichung von Verbotsgründen stünden, ließen seine Unterstützung terroristischer Vereinigungen sowie seine Missionierungstätigkeit den Schluss zu, dass er maßgeblich auf diese ausgerichtet sei. Die von ihm eingeworbenen Spenden habe er in erheblichem Umfang für diesen Teil seiner Aktivitäten eingesetzt. "Mildere Mittel als das ausgesprochene Vereinsverbot sind angesichts des vom Kläger aufgebauten umfangreichen Vereinsgeflechts nicht ersichtlich."