BVerwG überlastet – Gerichtspräsident fordert mehr Personal

Das Bundesverwaltungsgericht ist erheblich überlastet. Darauf hat der Präsident des Gerichts Klaus Rennert auf einer Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des Jahresberichts für 2017 hingewiesen. Er fordert eine Aufstockung des Personalbestands des Gerichts.

Ursache: Vor allem in Zuständigkeit des BVerwG fallende erstinstanzliche Verfahren

Als Grund für die Überlastung des BVerwG nennt Rennert vor allem den erneut gestiegenen Umfang derjenigen Klageverfahren, für die das BVerwG in erster und letzter Instanz zuständig ist. Zu nennen seien hier zum einen Klagen gegen Vereinsverbote, die der Bundesinnenminister verhängt hat, zum zweiten Rechtsschutzersuchen von Ausländern, deren sofortige Abschiebung ein Landesinnenminister gemäß § 58a des Aufenthaltsgesetzes angeordnet hat, weil er sie als Gefährder einstuft, und schließlich und vor allem Klagen von Betroffenen, aber auch von Umweltverbänden gegen Behördenentscheidungen, mit denen große Infrastrukturprojekte genehmigt werden.

Zunehmende Komplexität der Verfahren bindet richterliche Arbeitskraft

Insofern sei das BVerwG im Jahr 2017 mit Klagen gegen die Vertiefung der Elbe, gegen diverse Abschnitte von Hochspannungs-Fernleitungen, gegen etliche Vorhaben der Bahn zum Ausbau ihres Schienennetzes sowie gegen mehrere Autobahnabschnitte befasst gewesen, darunter auch die Untertunnelung der Elbe durch die A 20 nahe Hamburg und die Erneuerung der Rheinbrücke der A 1 bei Leverkusen. Zwar habe die Zahl erstinstanzlicher Klageverfahren 2017 im Vergleich zu den Vorjahren nicht wesentlich zugenommen (2015: 87; 2016: 88; 2017: 93). Wegen ihrer zunehmenden Komplexität binde ihre Bearbeitung aber einen ständig wachsenden Anteil – mittlerweile etwa ein Drittel – der gesamten richterlichen Arbeitskraft des Gerichts und beanspruche auch den Service-Bereich außerordentlich.

Beanspruchung als Revisionsgericht relativ konstant

Die Beanspruchung des BVerwG in seinem "Kerngeschäft" als Revisionsgericht sei 2017 im Vergleich zu den Vorjahren gleich geblieben; die Eingangszahlen von 2013, 2015 und 2017 seien praktisch identisch (rund 1.460 Verfahren) geblieben, die Jahre dazwischen wiesen leichte Abweichungen infolge von Sondereffekten auf. Auch bei vielen Revisionen mache sich allerdings eine zunehmende Komplexität bemerkbar, für die nicht nur eine "Verdichtung der Lebensverhältnisse" verantwortlich sei, sondern auch eine immer kompliziertere Gesetzgebung sowohl in Deutschland als auch in der Europäischen Union, so Rennert.

Verkürzte Verfahrenslaufzeiten beruhen auf übermäßigem Einsatz des Personals

Das BVerwG habe diese gestiegenen Anforderungen auch 2017 mit demselben Personalbestand im richterlichen wie im nichtrichterlichen Bereich meistern müssen, betont der Präsident des Gerichts. Angesichts dessen sei es eine besondere Herausforderung gewesen, die in den Vorjahren erzielten Erfolge in dem Bemühen, die Verfahrenslaufzeiten weiter zu verkürzen, nicht wieder zu verspielen. Das sei gelungen; auch 2017 habe ein Revisionsverfahren im Durchschnitt weniger als ein Jahr gedauert (genau: elf Monate und sieben Tage), und ein erstinstanzliches Klageverfahren habe noch weniger Zeit beansprucht (zehn Monate und 26 Tage). Allerdings lasse sich dieses Niveau nur halten, weil die mit den Verfahren befassten Mitglieder des Gerichts oft einen deutlich über das Geschuldete hinausgehenden Einsatz gezeigt haben.

In 2018 mit noch höherer Belastung zu rechnen

Für 2018 rechnet das BVerwG eigenen Angaben zufolge mit einer weiter zunehmenden Belastung. Im Bereich der großen Infrastrukturvorhaben stünden etliche bedeutsame und hochkomplexe Verfahren zur Entscheidung an, darunter der Betrieb des Hauptbahnhofs Stuttgart, eine weitere Hochspannungs-Freileitung, das Kohlekraftwerk Moorburg oder die Nord-West-Umfahrung Hamburg der Autobahn A 20. Die Revisionssenate würden sich mit zahlreichen weiteren Problemen zu befassen haben, etwa mit der Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, mit der Klage des Betreibers eines Internet-Knotens gegen die Anordnung der strategischen Fernmeldeüberwachung oder mit dem neuen Haar- und Barterlass der Bundeswehr. Hinzu komme, dass die Migrationswelle nunmehr auch das BVerwG erreicht habe. Die Belastung der Verwaltungsgerichte der ersten Instanz durch Klagen und Eilanträge von Asylsuchenden habe 2015 und 2016 rasant zugenommen und 2017 mit annähernd 400.000 Eingängen einen historischen Höchststand erreicht. Diese Welle wirke sich mit zeitlicher Verzögerung auch auf die Revisionsinstanz aus. Dabei komme dem BVerwG vor allem die Aufgabe zu, die Rechtsprechung der 51 Verwaltungsgerichte und 15 Oberverwaltungsgerichte zu vereinheitlichen. Darin liege eine der Hauptaufgaben des Gerichts im Jahr 2018.

Rennert fordert mehr Personal

Präsident Rennert wies darauf hin, dass es im dringenden öffentlichen Interesse liegt, dass das BVerwG seine Verfahren möglichst zügig betreibt und die von ihm erwarteten Entscheidungen möglichst zeitnah trifft. Das sollte dadurch gefördert werden, dass der Personalbestand des Gerichts von derzeit 55 Richtern aufgestockt wird. Wegen der außerordentlichen Belastung durch die Migrationswelle hätten die Länder praktisch durchweg die Personalkapazität ihrer Verwaltungsgerichte deutlich erhöht. Der Bund sollte hier nachziehen.

Redaktion beck-aktuell, 8. März 2018.