Generelles coronabedingtes Versammlungsverbot in Sachsen war unwirksam
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Das generelle Verbot von Versammlungen zu Beginn der Corona-Krise im April 2020 in Sachsen war mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Mittwoch entschieden. Die entsprechende Regelung der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung (SächsCoronaSchVO) vom 17.04.2020 werde der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht gerecht und sei daher unwirksam, betonte das Gericht.

Ausnahmegenehmigungen auf Antrag nur im Einzelfall

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SächsCoronaSchVO waren alle Veranstaltungen, Versammlungen und sonstigen Ansammlungen untersagt. Im Einzelfall konnten Ausnahmegenehmigungen auf Antrag insbesondere für Versammlungen im Sinne des Sächsischen Versammlungsgesetzes vom zuständigen Landkreis oder der zuständigen Kreisfreien Stadt erteilt werden, wenn dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar war (§ 3 Abs. 3 SächsCoronaSchVO). Das Sächsische Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag einer Privatperson, festzustellen, dass diese Vorschriften unwirksam waren, ab.

Maßnahme außer Verhältnis zu Schwere des Grundrechtseingriffs

Das BVerwG hat dieses Urteil jetzt geändert und festgestellt, dass die Regelung unwirksam war, soweit sie Versammlungen untersagt hat. Das OVG habe ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass Untersagungen von Versammlungen auf das Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 27.03.2020 gestützt werden konnten. Auch habe der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass Schutzauflagen – beispielsweise Abstandsgebote – das Ziel, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, nicht ebenso wirksam erreicht hätten wie ein generelles Versammlungsverbot. Dieser Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung standen nach Ansicht des BVerwG jedoch außer Verhältnis zur Schwere des Grundrechtseingriffs.

Ausnahmevorschrift zu unklar

Die Untersagung aller Versammlungen sei ein schwerer Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) gewesen, die für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend ist. Der Ausnahmevorbehalt in § 3 Abs. 3 SächsCoronaSchVO habe das Gewicht des Eingriffs nur unwesentlich gemindert. Die Vorschrift habe nicht erkennen lassen, unter welchen Voraussetzungen Versammlungen infektiologisch vertretbar sein könnten, und selbst für infektiologisch vertretbare Versammlungen habe sie die Erteilung der Genehmigung in das Ermessen der Behörde gestellt. Eine nachträgliche Konkretisierung der Genehmigungsvoraussetzungen durch die Rechtsprechung habe daran aufgrund der auf zwei Wochen begrenzten Geltungsdauer der Verordnung nichts mehr ändern können.

Regelung wird Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht gerecht

Zwar habe der Verordnungsgeber das Risiko für Leben und Gesundheit im Zusammenhang mit COVID-19 weiterhin als hoch einschätzen dürfen. Es sei angesichts der Verlangsamung der Infektionsgeschwindigkeit in Sachsen aber Spielraum für schrittweise Lockerungen gegenüber den Beschränkungen durch die Verordnung vom 31.03.2020 gewesen. In dieser Situation sei ein generelles Versammlungsverbot, das lediglich durch einen nicht konkretisierten Ausnahmevorbehalt geöffnet war, der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für ein freiheitliches Staatswesen nicht gerecht geworden. Der Verordnungsgeber hätte selbst regeln müssen, unter welchen Voraussetzungen Versammlungen infektiologisch vertretbar sein können, um zumindest Versammlungen unter freiem Himmel mit begrenzter Teilnehmerzahl unter Beachtung von Schutzauflagen wieder möglich zu machen. Nur so hätte er die erforderliche Rechtssicherheit für Bürger und Behörden schaffen können.

Mindestabstand von 1,5 Metern nicht zu beanstanden

Den Antrag festzustellen, dass das Gebot, im öffentlichen Raum einen Mindestabstand von 1,5 Metern außer zu bestimmten Personen einzuhalten (§ 2 Abs. 2 SächsCoronaSchVO), unwirksam war, habe das OVG hingegen ohne Bundesrechtsverstoß abgelehnt, so das BVerwG. Insoweit habe die Revision des Antragstellers keinen Erfolg (Az.: 3 CN 1.22).

BVerwG, Urteil vom 21.06.2023 -

Redaktion beck-aktuell, 21. Juni 2023.