Gläubiger Sikh beantragte Befreiung
Der Kläger beantragte im Juli 2013 bei der Stadt Konstanz die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, mit der er von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Motorradfahren befreit wird. Die Schutzhelmpflicht nach § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO verletze ihn als gläubigen Sikh in seiner Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG. Er sei aus religiösen Gründen verpflichtet, einen Turban zu tragen.
Behörde hält Ausnahmegenehmigung nur aus gesundheitlichen Gründen für möglich
Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 5b StVO könne nur aus gesundheitlichen Gründen erteilt werden. Der Widerspruch des Klägers und seine Klage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe sind erfolgslos geblieben.
VGH Mannheim: Auch religiöse Gründe können Helmpflicht entgegenstehen
Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim die Beklagte verpflichtet, über seinen Antrag erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Die Beklagte habe verkannt, dass eine Ausnahme auch aus religiösen Gründen in Betracht komme. Eine unmittelbare Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der beantragten Ausnahmegenehmigung hat der VGH dagegen abgelehnt. Die Glaubensfreiheit führe nicht zu einem generellen Überwiegen der Interessen des Klägers gegenüber der ebenfalls grundrechtlich gewährleisteten körperlichen und psychischen Unversehrtheit Dritter, die durch die Helmpflicht geschützt werden solle. Eine Reduzierung des behördlichen Ermessens auf null komme allenfalls in Betracht, wenn der Antragsteller auf die Nutzung des Motorrads zwingend angewiesen sei. Das sei beim Kläger nicht der Fall.
BVerwG bejaht mittelbare Beeinträchtigung der Religionsausübungsfreiheit
Die Revision des Klägers, mit der er über die Verpflichtung zur erneuten Entscheidung hinaus die Erteilung der Ausnahmegenehmigung erreichen wollte, hat das BVerwG zurückgewiesen. Die in § 21a Abs. 2 StVO angeordnete Pflicht, beim Motorradfahren einen geeigneten Schutzhelm zu tragen, könne den Kläger als gläubigen Sikh mittelbar in seiner Religionsausübungsfreiheit beeinträchtigen. Er werde hierdurch zwar nicht an der Praktizierung seines Glaubens gehindert; bei der Befolgung der von ihm aus religiösen Gründen als verbindlich empfundenen Pflicht zum Tragen eines Turbans müsse er aber auf das Motorradfahren verzichten.
Einschränkung grundsätzlich gerechtfertigt
Diese Einschränkung sei allerdings auch mit Blick auf die durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Religionsfreiheit grundsätzlich gerechtfertigt und vom Kläger hinzunehmen, weil sie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern Dritter dient, so das BVerwG. Die Helmpflicht solle nicht nur den Motorradfahrer selbst, sondern auch die körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Unfallbeteiligter und der Rettungskräfte schützen. Sie könnten durch den Unfalltod oder durch den Eintritt schwerer Verletzungen bei einem nicht mit einem Schutzhelm gesicherten Motorradfahrer traumatisiert werden. Ein durch Helm geschützter Motorradfahrer werde zudem im Fall eines Unfalls eher in der Lage sein, zur Rettung anderer Personen beizutragen, etwa indem er die Unfallstelle sichert, Ersthilfe leistet oder Rettungskräfte ruft.
Nur bei Unzumutbarkeit des Verzichts auf Motorradfahren andere Entscheidung möglich
Ein Anspruch auf Befreiung von der Helmpflicht könne daher allenfalls bestehen, wenn dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren aus besonderen Gründen nicht zugemutet werden kann. Anhaltspunkte hierfür habe der Kläger, der über eine Fahrerlaubnis zum Führen von Pkw verfügt und einen Lieferwagen besitzt, nicht dargelegt.