Mit dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) von 1994 will die Politik Menschen entschädigen, die in der sowjetischen Besatzungszone oder danach in der DDR Opfer von Maßnahmen des Staates geworden sind. Die Voraussetzungen sind streng: Die hoheitlichen Eingriffe müssen "mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar" gewesen sein; ferner müssen sie zu einer gesundheitlichen Schädigung, einem Eingriff in Vermögenswerte oder einer beruflichen Benachteiligung geführt haben und "ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken". Die Rechtsfolge: Aufhebung entsprechender Verwaltungsentscheidungen (oder eine entsprechende Feststellung) und – soweit nicht bereits in anderen Gesetzen geregelt – eine finanzielle Entschädigung.
Eine frühere Kanu-Leistungssportlerin wollte vor dem BVerwG eine solche Rehabilitierung erstreiten. Ihr waren zwischen 1968 und 1973 im Alter von zwölf bis 17 Jahren verschiedene Dopingsubstanzen verabreicht worden; dies führte zu schweren und bis heute anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Sie ist seit ihrem 43. Lebensjahr erwerbsunfähig und schwerbehindert mit einem Grad von 90. Eine Geldentschädigung hatte sie bereits nach dem Ersten Dopingopfer-Hilfegesetz von 2002 erhalten – nun ging es ihr um die Anerkennung des staatlichen Unrechts. Beim Brandenburger Innenministerium und vor dem VG Potsdam scheiterte sie mit ihrem Anliegen. Dagegen hatte das VG Greifswald im Fall einer ehemaligen Turnerin entschieden, das DDR-Zwangsdoping sei kein Allgemeinschicksal und nicht systemimmanent gewesen – wenngleich das "Staatsdoping" auf einem Beschluss des SED-Zentralkomitees beruht habe.
Anders nun am Mittwoch nachmittag das BVerwG: Die obersten Verwaltungsrichter sahen in der systematischen Verabreichung von Anabolika weder eine "politische Verfolgung" noch einen "Willkürakt im Einzelfall" im Sinne des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (Urteil vom 27.03.2024 – 8 C 6.23). Der Leipziger Senat interpretiert in seiner Mitteilung die Rechtsgrundlage so: Nach § 1 Abs. 2 VwRehaG komme eine Rehabilitierung nur in Betracht, "wenn eine Maßnahme in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen und der politischen Verfolgung gedient oder einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt hat". Zwar habe die heimliche Verabreichung von Dopingsubstanzen, deren gesundheitsschädigende Wirkung den staatlichen Stellen der DDR bekannt gewesen sei, in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen: "Die Maßnahme diente jedoch nicht der politischen Verfolgung und stellte auch keinen Willkürakt im Einzelfall dar." Denn Letzteres setzt dem Richterspruch zufolge voraus, dass sie von der Tendenz und Absicht getragen war, ihren Adressaten bewusst zu benachteiligen. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass eine subjektive Zielrichtung hinzutreten müsse – nämlich dass die Maßnahme der politischen Verfolgung gedient habe oder der Betroffene bewusst gegenüber vergleichbaren Personen diskriminiert worden sei. Und daran fehle es im Fall der einstigen Kanusportlerin.
"Bindende Beschlüsse des SED-Politbüros"
Den später erlassenen Dopingopfer-Hilfegesetzen, die eine finanzielle Hilfe lediglich aus humanitären und sozialen Gründen gewähren, liegt aus Sicht der Leipziger Bundesrichter ebenfalls die Annahme zugrunde, dass ein Rechtsanspruch der Opfer staatlichen Dopings nicht besteht. Es sei aber Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob und inwieweit er sie in die Entschädigungsregelungen des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes einbezieht. Eine Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten durch das BVerwG würde die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten.
Das von der erfolglosen Klägerin zu ihren Gunsten ins Feld geführte Urteil des VG Greifswald von 2020 hatte das Umfeld solcher Fälle deutlich ausgeleuchtet und der betroffenen Turnerin Recht gegeben. Solche Präparate hätten im staatlich organisierten Dopingsystem der DDR Verwendung gefunden; demnach sollten sie die Sportler belastbarer machen, um länger und härter trainieren zu können und führten besonders bei Frauen zu deutlichen Leistungszuwächsen. Die häufig heimliche und zwangsweise Verabreichung von Dopingmitteln an Kinder und jugendliche Sportler hätten hoheitliche Maßnahmen einer deutschen behördlichen Stelle – nämlich des Sportmedizinischen Dienstes der DDR – dargestellt. Dazu rechneten die Richter aus Mecklenburg-Vorpommern alle Entscheidungen und Realakte in Ausübung vollziehend-verfügender Tätigkeit: "Dazu gehören auch Beschlüsse des Ministerrats oder der örtlichen Räte, sofern sie im Einzelfall unmittelbare Wirkung gegenüber dem Einzelnen entfaltet haben (…)."
Das Staatsdoping beruhte nach seinen Erkenntnissen auf einem Beschluss des SED-Zentralkomitees, der auf einer Vorlage der Leistungssportkommission der DDR basierte. 1974 entstand dem Entscheid zufolge ein Staatsplan zur konsequenten Zentralisierung der Erforschung und Anwendung des Dopings, der die bereits zuvor bestehende Dopingpraxis konsequent weiterführen sollte; zudem habe es mehrere bindende Beschlüsse des SED-Politbüros zu "unterstützenden Mitteln" gegeben. Einer vertraulichen Vorlage für den Vorsitzenden der Leistungssportkommission lasse sich zudem entnehmen, dass seit 1966 zielgerichtet pharmakologische Mittel zur Leistungssteigerung bei Sportlern angewandt wurden. "Der Sportmedizinische Dienst, das ,Rückgrat des Doping-Staatsplanthemas‘, war eine politisch gesteuerte Einheit, die dem Staatssekretariat für Körperkultur und Sport unterstand (…)."