Jahrzehntelange Beobachtung eines Juristen durch Verfassungsschutz rechtswidrig
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Die Beobachtung des Juristen und Publizisten Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz von 1970 bis 2008 war rechtswidrig. Diese Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts Münster hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Ausreichende Anhaltspunkte für eine Überwachung müssten vor Beginn der Maßnahme vorliegen und dürften nicht wie in diesem Fall erst durch diese selbst geschaffen werden.

Kritik an Innerer Sicherheit

Der ehemalige Rechtsanwalt (bis 2020) und Journalist stand seit seiner Studienzeit unter der Beobachtung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Nach einem fünfzehn Jahre dauernden Verfahren ist nunmehr die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Behörde festgestellt worden. Diese hatte die Überwachung zunächst auf die Nähe Gössners zum Sozialistischen Hochschulbund (SHB) gestützt, später auf die Mitgliedschrift in der Redaktion der Zeitschrift "Geheim" (zeitweilig "Nicht länger geheim"), die sich kritisch mit der Polizei und Nachrichtendiensten auseinandersetzte. Nach seinem Ausscheiden bei dem Magazin habe er dort weiter Beiträge veröffentlicht. Viel habe er auch in Medien aus dem Umfeld der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) publiziert. Dadurch habe er verfassungsfeindliche Organisationen "nachdrücklich unterstützt", so das BfV. Erst 2008 wurde die Überwachung eingestellt – zu diesem Zeitpunkt war Gössner bereits seit einem Jahr stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof in Bremen und seit vielen Jahren eine Stimme mit Gewicht auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit.

Markt der Meinungen

Gössner verlangte nunmehr die Feststellung, dass seine Beobachtung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Angefangen beim Verwaltungsgericht Köln stimmten ihm die Instanzen zu. Das BVerwG wies mit Urteil vom 14.12.2020 die Revision des BfV zurück. Bezüglich des SHB sei bereits nicht festgestellt, dass dieser Anfang der 70er Jahre einen Umbau der Gesellschaft zu einer "sozialistisch-kommunistischen" Gesellschaftsordnung angestrebt habe. In der Zeitschrift "Geheim" hätten auch Politiker von SPD und Grünen veröffentlicht. Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion hätten sich nicht ergeben – das OVG sei hier von einem "Markt der Meinungen" im Sinn der Rechtsprechung des BVerfG ausgegangen. Ein Kontakt eines anderen Redaktionsmitglieds zur Stasi sei erst nach dem Ausscheiden Gössners bekannt geworden und wegen der Wende für die spätere Überwachung nicht mehr von Bedeutung gewesen.

BVerwG mahnt Verhältnismäßigkeit an

Auch die Veröffentlichungen in DKP-nahen Medien und Auftritte bei Veranstaltungen genügten nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Entscheidend sei zwar nicht, wie vom OVG angenommen, dass Gössner selbst keine verfassungsfeindlichen Absichten gehabt habe. Denn bei der "nachdrücklichen Unterstützung", die Voraussetzung für eine Beobachtung ist, gelte ausschließlich ein objektiver Maßstab. Allerdings sei eine objektive Unterstützung "möglicherweise" verfassungsfeindlicher Bestrebungen der DKP nicht festgestellt worden. Mit Blick auf die langjährige Überwachung schließt das Gericht mit der deutlichen Mahnung zur Verhältnismäßigkeit: "Gelingt ein solcher Nachweis bei wie im vorliegenden Fall im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen Umständen nach einer angemessenen, hier zweifellos überschrittenen Frist nicht, muss die Beobachtung eingestellt werden."

BVerwG, Urteil vom 14.12.2020 - 6 C 11.18

Redaktion beck-aktuell, 18. März 2021.