Rechtsbereinigungsgesetze erlauben kein Wiederaufgreifen bestandskräftiger Verwaltungsverfahren

Die Aufhebung des § 100a Abs. 1 BVFG im Jahr 2015 hat keine Rückwirkung auf bereits bestandskräftig abgeschlossene Bescheinigungsverfahren nach § 15 Abs. 1 BVFG. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht am 13.08.2020 im Streit um die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung entschieden. Mangels Änderung der Rechtslage zugunsten der Betroffenen lägen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vor.

Antrag der Klägerin blieb erfolglos

Die in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin reiste im Mai 2000 mit einem Aufnahmebescheid in das Bundesgebiet ein. Ihr Antrag auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG wurde im März 2002 abgelehnt, weil sie sich nicht durchgängig zum deutschen Volkstum bekannt habe. Dagegen eingelegte Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Im Oktober 2009 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Das Bundesverwaltungsamt lehnte ein Wiederaufgreifen des Verfahrens ab. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG lägen nicht vor, weil sich die Rechtslage nicht nachträglich zugunsten der Klägerin geändert habe.

OVG entschied zugunsten der Klägerin

Die hiergegen erhobene Klage hatte das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hatte das Oberverwaltungsgericht die Beklagte allerdings verpflichtet, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen. Eine Änderung der Rechtslage zugunsten der Klägerin sei mit Blick auf Artikel 2 Nr. 2a des Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes vom 07.11.2015 (BGBl. I S. 1922), durch den § 100a Abs. 1 BVFG 2001 aufgehoben worden sei, eingetreten. Nach dem Wegfall des § 100a Abs. 1 BVFG 2001 sei für Anträge nach § 15 Abs. 1 BVFG von vor dem 07.09.2001 eingereisten Personen wieder die zuvor geltende Rechtslage, also das Bundesvertriebenengesetz 1993, maßgeblich geworden. Und die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BVFG 1993, der zum Zeitpunkt ihrer Einreise gegolten habe.

BVerwG: Nur Wirkung für die Zukunft

Die Revision der Beklagten hatte jetzt Erfolg. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegen nach Ansicht des Gerichts nicht vor, weil sich die der ablehnenden Entscheidung vom März 2002 zugrundeliegende Rechtslage nicht nachträglich zugunsten der Klägerin geändert habe. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts habe die Aufhebung des § 100a Abs. 1 BVFG 2001, der die Anwendung des nach dem 07.09.2001 geltenden Rechts auf Anträge nach § 15 Abs. 1 BVFG regelte, keine Rückwirkung auf bereits bestandskräftig abgeschlossene Bescheinigungsverfahren. Denn der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass es sich bei § 100a Abs. 1 BVFG 2001 um eine überholte Übergangsvorschrift handele, deren Zweck sich erledigt habe. Aus dem Charakter der Norm als Rechtsbereinigungsvorschrift folge, dass die Aufhebung des § 100a Abs. 1 BVFG allein Wirkung für die Zukunft (ex nunc) habe und nicht auch für in der Vergangenheit abgeschlossene Bescheinigungsverfahren.

BVerwG, Urteil vom 13.08.2020 - 1 C 23.19

Redaktion beck-aktuell, 13. August 2020.