Passbeschaffung bei Erfordernis einer "Reueerklärung" unzumutbar

Einem subsidiär schutzberechtigten Ausländer darf die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer nicht mit der Begründung verweigert werden, er könne einen Pass seines Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer "Reueerklärung" knüpft, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verbunden ist, und der Ausländer plausibel darlegt, dass er die Erklärung nicht abgeben will. Das hat das Bundesverwaltungsgericht gestern zugunsten eines eritreischen Staatsangehörigen entschieden und ein erstinstanzliches Urteil wiederhergestellt .

Vorinstanzen unterschiedlicher Meinung

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährte dem Kläger subsidiären Schutz, weil ihm aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Eritrea bei einer Rückkehr eine Inhaftierung drohe, die mit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbunden sei. Die Ausländerbehörde lehnte seinen Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ab, weil es dem Kläger zuzumuten sei, bei der Botschaft Eritreas einen Passantrag zu stellen. Die darauf erhobene Verpflichtungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen in Lüneburg die Klage aber abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises seien nicht erfüllt, so das OVG.

OVG: Steuer und Reueerklärung zumutbar

Denn anders als Flüchtlingen sei es subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich zumutbar, sich bei der Auslandsvertretung ihres Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen, so das OVG. Eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 der Aufenthaltsverordnung bestehe daher nur dann, wenn dem Betroffenen ernsthafter Schaden durch staatliche Behörden drohe, und bei Hinzutreten weiterer, hier nicht vorliegender Umstände, wie etwa der begründeten Furcht vor einer Gefährdung der im Heimatland lebenden Verwandten. Hingegen seien Bemühungen um die Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses dem Kläger nicht deshalb unzumutbar, weil in diesem Zusammenhang eine "Aufbau-" oder "Diasporasteuer" von 2% seines Einkommens zu entrichten sei. Zumutbar sei auch die vom eritreischen Konsulat verlangte Abgabe einer "Reueerklärung", in der der Erklärende bedauere, seiner "nationalen Pflicht" nicht nachgekommen zu sein, und erkläre, auch eine eventuell dafür verhängte Strafe zu akzeptieren.

BVerwG: Abgabe der Reue-Erklärung nicht zumutbar

Das BVerwG hat die Entscheidung des OVG Lüneburg geändert und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Der Kläger könne die Ausstellung eines Reiseausweises beanspruchen, so die Leipziger Richter, weil er einen eritreischen Pass nicht zumutbar erlangen kann und auch die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Zwar sei es einem subsidiär Schutzberechtigten – anders als einem Flüchtling – grundsätzlich zumutbar, einen Passantrag bei den Behörden des Herkunftsstaates zu stellen. Ob etwas Anderes schon dann gilt, wenn der subsidiäre Schutz dem Ausländer wegen eines von staatlichen Stellen gezielt drohenden ernsthaften Schadens zuerkannt worden ist, ließ das BVerwG offen. Denn jedenfalls sei es dem Kläger nicht zuzumuten, die beschriebene Reueerklärung abzugeben.

Selbstbezichtigung einer Straftat nicht zumutbar

Die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen seinen Grundrechten und den staatlichen Interessen, die auf die Personalhoheit des Herkunftsstaates Rücksicht zu nehmen haben, ging laut BVerwG hier zugunsten des Klägers aus. Die in der Reueerklärung enthaltene Selbstbezichtigung einer Straftat dürfe ihm gegen seinen plausibel bekundeten Willen auch dann nicht abverlangt werden, wenn sich – wie vom Berufungsgericht festgestellt – die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung dadurch nicht erhöhe und das Strafmaß gegebenenfalls sogar verringere.

BVerwG, Urteil vom 11.10.2022 - 1 C 9.21

Gitta Kharraz, 12. Oktober 2022.

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