BVerwG: OVG Greifswald muss über Tornado-Tiefflug über Demonstranten-Camp vor G8-Gipfel in Heiligendamm erneut entscheiden

Der Rechtsstreit um einen Tornado-Tiefflug über ein Protestcamp im Vorfeld des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm geht weiter. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar wegen der einschüchternden Wirkung des Überflugs einen faktischen Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Kläger bejaht, die Sache aber zur weiteren Klärung einer möglichen Rechtfertigung des Überflugs an das Oberverwaltungsgericht Greifswald zurückverwiesen (Urteile vom 25.10.2017, Az.: 6 C 45.16 und 6 C 46.16).

Camp in geringer Höhe mit Kampfflugzeug überflogen

Im Vorfeld des Gipfeltreffens der acht großen Industriestaaten (G8), das vom 06. bis 08.06.2007 in Heiligendamm stattfand, beantragte das Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern beim Bundesverteidigungsministerium, im Wege der Amtshilfe Überflüge der Region um den Austragungsort durchzuführen und dabei Luftbildaufnahmen anzufertigen. Hierdurch sollten mögliche Erddepots erkannt sowie Manipulationen an wichtigen Straßenzügen erfasst werden. Ab Ende Mai 2007 hatten Gegner des Gipfeltreffens in der Gemeinde Reddelich ein Camp für die Unterkunft von bis zu 5.000 Personen errichtet, die an Protestaktionen teilnehmen wollten. Am 05.06.2007 überflog ein Kampfflugzeug der Bundeswehr vom Typ Tornado gegen 10.30 Uhr das Camp in einer Höhe von circa 114 Metern. Auf einem Teil der hierbei gefertigten und von der Bundeswehr zur Auswertung an die Polizeidirektion Rostock übermittelten Luftbilder sind das Camp sowie Personengruppen abgebildet, die sich dort befanden.

BVerwG bejaht faktischen Eingriff in Versammlungsfreiheit

Der Überflug und die Anfertigung der Aufnahmen seien als Teilakte einer einheitlichen Gefahrerforschungsmaßnahme in Amtshilfe für die zuständige Landespolizeibehörde erfolgt und dieser daher insgesamt zuzurechnen. Laut BVerwG stellt der Überflug zwar keinen zielgerichteten, aber einen faktischen Eingriff in das Grundrecht der Kläger auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) dar. Dieses sei nicht auf den Zeitraum der Durchführung der Versammlung begrenzt, sondern entfalte seine Wirkung bereits im Vorfeld.

Überflug hatte einschüchterte Wirkung auf campierende G8-Gegner

Wie das BVerwG ausführt, sei ein faktischer Eingriff jedenfalls dann gegeben, wenn das staatliche Handeln einschüchternd oder abschreckend wirkt beziehungsweise geeignet ist, die freie Willensbildung und die Entschließungsfreiheit derjenigen Personen zu beeinflussen, die an Versammlungen teilnehmen wollen. Dies könne nur aufgrund einer Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgestellt werden, bei der nicht die subjektive Bewertung einzelner konkret betroffener Personen maßgeblich, sondern ein objektiver Beurteilungsmaßstab anzulegen sei. Betreffe die staatliche Maßnahme nicht eine laufende Versammlung, sondern lediglich den geschützten Vorfeldbereich, sei bei der Gesamtwürdigung ein umso strengerer Maßstab anzulegen, je größer die räumliche oder zeitliche Entfernung zu der geschützten Versammlung ist und je weniger für die späteren Versammlungsteilnehmer daher ein Bezug der Maßnahme zu der späteren Versammlung erkennbar sei. Nach diesem Maßstab habe der Überflug des Kampfflugzeuges über das Camp in einer Höhe von nur 114 Metern aus der Sicht eines durchschnittlichen Betroffenen im Hinblick auf die extreme Lärmentfaltung, den angsteinflößenden Anblick und die Überraschungswirkung im Kontext der Vorbereitung der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel einschüchternde Wirkung gehabt, so das BVerwG.

Mögliche Rechtfertigung des Überflugs weiter aufzuklären

Der Überflug habe keinen vom Grundgesetz verbotenen Einsatz der Streitkräfte im Inneren dargestellt und sei nicht aus diesem Grund rechtswidrig gewesen, fährt das BVerwG fort. Da der Überflug lediglich der anderweitig nicht möglichen Aufklärung der Sachlage durch Luftbilder im Vorfeld der Feststellung einer konkreten Gefahr gedient habe, sei er als technische Unterstützungsleistung der Bundeswehr im Wege der Amtshilfe für die Sicherheitsbehörden anzusehen. Ob der Überflug als Maßnahme der Gefahrerforschung auf der Grundlage des Landespolizeirechts gerechtfertigt gewesen sei, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen habe, habe das BVerwG auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des OVG nicht abschließend entscheiden können.

BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 6 C 45.16

Redaktion beck-aktuell, 26. Oktober 2017.

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