BVer­wG: An­spruchs­ein­bür­ge­rung eines Aus­län­ders trotz Mehr­e­he mög­lich

Eine rechts­wirk­sam im Aus­land ein­ge­gan­ge­ne wei­te­re Ehe schlie­ßt zwar eine pri­vi­le­gier­te Ein­bür­ge­rung von Ehe­gat­ten Deut­scher nach § 9 StAG man­gels Ein­ord­nung in die deut­schen Le­bens­ver­hält­nis­se aus. Sie steht aber einem wirk­sa­men Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung und damit einem Ein­bür­ge­rungs­an­spruch nach § 10 StAG nicht ent­ge­gen. Dies hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt mit Ur­teil vom 29.05.2018 klar­ge­stellt und ein Ver­fah­ren zur wei­te­ren Prü­fung an die Vor­in­stanz zu­rück­ver­wie­sen (Az.: 1 C 15.17).

Klä­ger ver­schwieg zu­nächst Zweit­frau

Der Klä­ger wen­det sich im zu­grun­de­lie­gen­den Fall gegen die Rück­nah­me sei­ner Ein­bür­ge­rung. Der 1981 in Sy­ri­en ge­bo­re­ne Mann lebt seit 1999 in Deutsch­land, er stu­dier­te hier und ar­bei­tet seit 2008 als an­ge­stell­ter Bau­in­ge­nieur. Im April 2008 hei­ra­te­te er eine deut­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, mit der er in ehe­li­cher Le­bens­ge­mein­schaft lebt. Aus der Ehe gin­gen drei Kin­der her­vor. Im Jahr 2010 wurde er auf sei­nen An­trag hin nach § 9 StAG ein­ge­bür­gert, nach­dem er im Ein­bür­ge­rungs­ver­fah­ren nur diese Ehe an­ge­ge­ben hatte. Im Jahr 2012 er­hielt die Be­klag­te Kennt­nis davon, dass der Klä­ger im Juni 2008 in Da­mas­kus mit einer sy­ri­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen rechts­wirk­sam eine wei­te­re Ehe ge­schlos­sen hatte. Er er­kann­te die Va­ter­schaft für eine An­fang 2012 von sei­ner Zweit­frau ge­bo­re­ne Toch­ter an. Die Toch­ter lebt seit Herbst 2013 im Haus­halt des Klä­gers in Karls­ru­he. Auch die Zweit­frau lebt seit April 2017 mit ei­ge­nem Haus­halt in Karls­ru­he.

Ein­bür­ge­rung des Klä­gers mit Wir­kung für die Ver­gan­gen­heit zu­rück­ge­nom­men

Die Be­klag­te nahm im De­zem­ber 2013 die Ein­bür­ge­rung des Klä­gers mit Wir­kung für die Ver­gan­gen­heit zu­rück. Durch das Ver­schwei­gen der Zweite­he und die im Ein­bür­ge­rungs­an­trag ab­ge­ge­be­nen Er­klä­run­gen habe er arg­lis­tig über die Ein­bür­ge­rungs­vor­aus­set­zun­gen ge­täuscht. Die Zweite­he schlie­ße es aus, dass sich der Klä­ger in die Le­bens­ver­hält­nis­se in Deutsch­land ein­ge­ord­net habe, und stehe auch einem wirk­sa­men Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ent­ge­gen.

Vor­in­stan­zen un­ei­nig

Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat die Klage ab­ge­wie­sen. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof da­ge­gen hat den Rück­nah­me­be­scheid auf­ge­ho­ben, weil es je­den­falls an der Kau­sa­li­tät des dem Klä­ger vor­ge­wor­fe­nen Ver­hal­tens für die Ein­bür­ge­rung fehle. Der Klä­ger habe bei Ein­bür­ge­rung auch unter Be­rück­sich­ti­gung der in Sy­ri­en wirk­sam ge­schlos­se­nen wei­te­ren Ehe nach § 10 StAG einen Ein­bür­ge­rungs­an­spruch ge­habt. Diese Zweite­he stehe dem nach § 10 StAG ge­for­der­ten Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung nicht ent­ge­gen.

BVer­wG: VGH muss Ein­bür­ge­rungs­an­spruch im Zeit­punkt der Rück­nah­me­ent­schei­dung klä­ren

Das BVer­wG hat den Rechts­streit jetzt an den VGH zur nä­he­ren Prü­fung der Frage zu­rück­ver­wie­sen, ob der Klä­ger im Zeit­punkt der Rück­nah­me­ent­schei­dung einen Ein­bür­ge­rungs­an­spruch ge­habt hat. Die Ein­bür­ge­rung des Klä­gers sei al­ler­dings rechts­wid­rig er­folgt, weil die in Sy­ri­en ge­schlos­se­ne und vom Klä­ger im Ein­bür­ge­rungs­ver­fah­ren ver­schwie­ge­ne Zweite­he einer "Ein­ord­nung in die deut­schen Le­bens­ver­hält­nis­se“ nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG ent­ge­gen­steht. Auch seien im Zeit­punkt der Ein­bür­ge­rung die Vor­aus­set­zun­gen für einen Ein­bür­ge­rungs­an­spruch nach § 10 StAG noch nicht er­füllt ge­we­sen.

Kein Be­kennt­nis zum Prin­zip der bür­ger­lich-recht­li­chen Ein­ehe er­for­der­lich

Bei der Er­mes­sens­ent­schei­dung über die Rück­nah­me habe die Be­klag­te aber einen mög­li­chen Ein­bür­ge­rungs­an­spruch des Klä­gers nach § 10 StAG im Zeit­punkt der be­hörd­li­chen Rück­nah­me­ent­schei­dung zu be­rück­sich­ti­gen. Die Be­klag­te habe hier einen sol­chen zu Un­recht mit der Be­grün­dung ver­neint, dass der Klä­ger sich wegen sei­ner Zweite­he nicht wirk­sam zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung be­kannt habe. Der Rechts­be­griff der "frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung" sei be­zo­gen auf die Ge­stal­tung der staat­li­chen Ord­nung und ihres Han­delns. Die­ser Rechts­be­griff sei damit enger als das Er­for­der­nis der Ein­ord­nung in die deut­schen Le­bens­ver­hält­nis­se nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG. Er ver­lan­ge vom Ein­bür­ge­rungs­be­wer­ber ein Be­kennt­nis zu einem auf Recht und Ge­setz sowie der Ach­tung und dem Schutz der im Grund­ge­setz kon­kre­ti­sier­ten Men­schen­rech­te grün­den­den Ge­mein­we­sen, aber kein Be­kennt­nis zum Prin­zip der bür­ger­lich-recht­li­chen Ein­ehe.

Ge­setz­ge­ber könn­te auch Ein­ord­nung in die deut­schen Le­bens­ver­hält­nis­se ver­lan­gen

Dem Ge­setz­ge­ber stehe es al­ler­dings frei, die An­spruchs­ein­bür­ge­rung bei be­stehen­der Mehr­e­he aus­zu­schlie­ßen, etwa indem er nach dem Vor­bild des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG auch für die An­spruchs­ein­bür­ge­rung vom Aus­län­der eine "Ein­ord­nung in die deut­schen Le­bens­ver­hält­nis­se" ver­lan­ge. Ob im Zeit­punkt der Rück­nah­me­ent­schei­dung ein Ein­bür­ge­rungs­an­spruch des Klä­gers be­stand, müsse das Be­ru­fungs­ge­richt mit Blick auf die Ein­bür­ge­rungs­vor­aus­set­zung einer ei­gen­stän­di­gen Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts auf­klä­ren und ent­schei­den, be­ton­te das BVer­wG.

BVerwG, Urteil vom 29.05.2018 - 1 C 15.17

Redaktion beck-aktuell, 30. Mai 2018.

Mehr zum Thema