BVerwG: Landesrechtliche Einschränkungen für Spielhallen in Berlin und Rheinland-Pfalz rechtmäßig

Die vom Berliner Landesgesetzgeber eingeführten Beschränkungen für die Erlaubnis und den Betrieb von Spielhallen sind rechtmäßig. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteilen vom 16.12.2016 entschieden. Die Bestimmungen verstießen weder gegen das Verfassungs- noch das EU-Recht. Insbesondere stehe die Zulässigkeit von Spielautomaten in Gaststätten der Eignung der streitigen Einschränkungen zur Spielsuchtbekämpfung und -prävention nicht entgegen. Auch eine in Rheinland-Pfalz für Spielhallen geschaffene Abstandsregelung zu Einrichtungen für Minderjährige sei verfassungskonform (Az.: 8 C 6.15 bis 8 C 8.15, 8 C 4.16, 8 C 5.16, 8 C 8.16).

Spielhallenbetreiberinnen klagten gegen Einschränkungen für Spielhallen in Berlin und Rheinland-Pfalz

Seit 2006 sind die Länder nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zum Erlass von Gesetzen im Bereich des "Rechts der Spielhallen" befugt. Die Betreiberinnen von Spielhallen an vier bestehenden und einem geplanten Standort in Berlin klagten - in verschiedenen Fallkonstellationen - gegen Einschränkungen, die das Land Berlin mit seinem Spielhallengesetz und dem ergänzenden Mindestabstandsumsetzungsgesetz neu eingeführt hat. Diese betrafen insbesondere Mindestabstände zu anderen Spielhallen sowie zu überwiegend von Minderjährigen genutzten Einrichtungen, das Verbot mehrerer Spielhallen an einem Standort, das Auslaufen bestehender Erlaubnisse verbunden mit einem Auswahlverfahren zwischen Bestandsspielhallen, die Verminderung der Höchstzahl von Geldspielautomaten und einen Mindestabstand zwischen ihnen innerhalb der Spielhalle sowie eine verlängerte Sperrzeit und Werbebeschränkungen für Spielhallen. Die Klägerinnen bestritten die Vereinbarkeit der Einschränkungen mit dem Verfassungs- und dem EU-Recht. Das rheinland-pfälzische Verfahren betraf die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung einer Spielhallenerlaubnis wegen einer nahe gelegenen Jugendfreizeiteinrichtung. Sämtliche Klagen waren in den beiden Vorinstanzen abgewiesen worden. Dagegen legten die Klägerinnen jeweils Revision ein.

BVerwG: Länder haben umfassende Regelungskompetenz

Die Revisionen der Klägerinnen blieben ohne Erfolg. Laut BVerwG dürfen die Länder auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG sämtliche Voraussetzungen für die Erlaubnis von Spielhallen und die Art und Weise ihres Betriebs regeln. Bezüglich der Spielgeräte sei dem Bund im Rahmen des Kompetenztitels "Recht der Wirtschaft" die Befugnis zur Regelung der für die Handelbarkeit relevanten produktbezogenen Anforderungen verblieben. Für diese Auslegung spreche die Entstehungsgeschichte. Im Rahmen der Föderalismusreform I sei das "Recht der Spielhallen" als ein überwiegend auf regionale Sachverhalte bezogener Bereich identifiziert worden, der deshalb von den Ländern ohne Beeinträchtigung der Wirtschaftseinheit des Bundesgebiets eigenständig gestaltet werden könne. Der Wortlaut, die Systematik sowie Sinn und Zweck des Kompetenztitels bestätigten diese entstehungsgeschichtliche Auslegung. Sämtliche der in den anhängigen Verfahren angegriffenen Spielhallenregelungen ließen sich danach dem "Recht der Spielhallen" als ausschließliche Gesetzgebungsmaterie der Länder zuordnen. Die Abstandsgebote zu anderen Spielhallen seien nicht Teil des "Bodenrechts" nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, da sie nicht auf einen Ausgleich der verschiedenen Nutzungsinteressen am Grund und Boden ausgerichtet seien. Die Abstandsgebote zu Einrichtungen für Minderjährige unterfielen nicht der "öffentlichen Fürsorge" im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG, sondern regelten den Schutz von Minderjährigen im Zusammenhang mit den auf die Prävention und Bekämpfung der Spielsucht ausgerichteten landesrechtlichen Regelungen zur Zulassung und zum Betrieb von Spielhallen.

Berufsfreiheit nicht verletzt - Spielsuchtbekämpfung und -prävention als überragend wichtiges Gemeinwohlziel

Das BVerwG sieht die angegriffenen Spielhallenregelungen auch im Einklang mit der Berufsfreiheit der klagenden Spielhallenbetreiber. Sie schränkten nicht die Berufswahl, sondern nur die Berufsausübung ein, da nach den tatrichterlichen Feststellungen innerhalb des Regelungsbereichs des Spielhallengesetzes im Rahmen des baurechtlich Zulässigen auf andere Standorte ausgewichen werden kann und ein wirtschaftlicher Betrieb einer Spielhalle auch unter den neuen rechtlichen Anforderungen nicht ausgeschlossen ist. Im Übrigen wären selbst die für Berufszugangsregelungen geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe eingehalten. Sämtliche streitgegenständlichen Regelungen dienten dem überragend wichtigen Gemeinwohlziel der Bekämpfung und Prävention von Spielsucht. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg habe festgestellt, dass die meisten Spieler mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten an gewerblich zugelassenen Automaten spielen und daher ein erhebliches Suchtpotenzial besteht.

Einschränkungen auch verhältnismäßig - Mindestabstandsgebot soll Spielanreize reduzieren

Auf der Grundlage der weiteren Feststellungen des OVG Berlin-Brandenburg und des dem Landesgesetzgeber eingeräumten Spielraums bei der Einschätzung der Suchtgefährdung sowie der Eignung und Erforderlichkeit suchtbekämpfender Maßnahmen ist dem BVerwG zufolge auch von der Verhältnismäßigkeit aller angegriffenen Regelungen auszugehen. Das Gebot eines Mindestabstands zu anderen Spielhallen und das Verbot mehrerer Spielhallen an einem Standort verringerten die Spielanreize und damit das Suchtpotenzial durch Reduzierung der Anzahl und Dichte von Spielhallen sowie Spielgeräten.

Berliner Auswahl- ("Sonder"-)verfahren zwischen Bestandsspielhallen hier nicht zu beanstanden

Das insoweit im Mindestabstandsumsetzungsgesetz von Berlin vorgesehene Auswahl- ("Sonder"-)verfahren zwischen Bestandsspielhallen begegne in dem - hier allein zur Prüfung gestellten - Fall eines Verbunds mehrerer Spielhallen eines Betreibers keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es orientiere sich zunächst an den gesetzlich vorgegebenen qualitativen Kriterien, ermittele grundrechtsschonend die maximale Zahl verbleibender Standorte von Bestandsspielhallen und sehe einen Losentscheid erst zwischen den hiernach auf gleicher Stufe stehenden Bestandsstandorten vor.

Mindestabstand zu Einrichtungen für Minderjährige soll Gewöhnung an Spielhallen verhindern

Der Mindestabstand zu Einrichtungen für Minderjährige schütze die Kinder und Jugendlichen im Interesse der Suchtprävention vor einer Gewöhnung an Spielhallen als Teil ihres täglichen Lebensumfeldes um Bildungs- und Freizeiteinrichtungen. Soweit eine Gefährdung von Minderjährigen wegen der räumlichen Verhältnisse im konkreten Fall nicht bestehe, sähen die Landesgesetze von Berlin und Rheinland-Pfalz Ausnahmemöglichkeiten vor. Die verschiedenen Anforderungen an die Aufstellung von Spielautomaten in den Spielhallen und deren Betrieb dienten ebenfalls der Rückführung von Spielanreizen zur Bekämpfung der Spielsucht.

Zulässigkeit von Spielautomaten in Gaststätten steht Eignung nicht entgegen

Das BVerwG sieht die Eignung der angegriffenen Regelungen nicht dadurch in Frage gestellt, dass auch in Gaststätten Spielautomaten aufgestellt werden dürfen (in Berlin bis zu drei, ab November 2019 zwei). Gegen entsprechende Ausweichbewegungen der Spieler spreche das unterschiedliche Gepräge von Spielhallen und Gaststätten, da bei Letzteren die Verabreichung von Speisen und Getränken im Vordergrund steht und regelmäßig eine Sozialkontrolle durch Nichtspieler stattfindet. Das OVG Berlin-Brandenburg habe zu Recht angenommen, dass die Eignung auch nicht deshalb entfällt, weil illegale Formen des Spiels an Spielautomaten in der Scheingastronomie selbst dann nicht vollständig unterbunden werden können, wenn - wie hier - kein im Spielhallenrecht angelegtes Vollzugsdefizit vorliegt. Die Zumutbarkeit der Regelungen könne nicht mit dem Einwand verneint werden, dass es an einem konsequenten Vorgehen des Gesetzgebers gegen die durch das Spielen an Spielautomaten hervorgerufene Spielsucht in Gaststätten und Spielbanken fehlt.

Verfassungsrechtliches Konsistenzgebot nicht ohne weiteres übertragbar - Intensität der Spielanreize nicht vergleichbar

Das BVerwG führt hierzu aus, dass das verfassungsrechtliche Konsistenzgebot für das staatliche Wettmonopol entwickelt worden und nicht ohne weiteres auf nicht monopolisierte Bereiche wie das Spielhallenrecht übertragbar sei. Unabhängig davon unterschieden sich die verschiedenen Regelungsbereiche nach den Feststellungen des OVG Berlin-Brandenburg deutlich. Von Spielautomaten in Gaststätten gehe wegen des unterschiedlichen Gepräges kein vergleichbar intensiver Spielanreiz aus wie von Spielhallen. Spielbanken seien im täglichen Lebensumfeld nicht annähernd gleich zugänglich wie Spielhallen. Außerdem unterlägen die Spieler dort intensiveren Zugangs- und Verhaltenskontrollen. Angesichts dieser Unterschiede seien die Einschränkungen für Spielhallen auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar.

Kein Verstoß gegen Eigentumsrecht

Soweit die Klägerinnen sich auf die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums berufen könnten, werde dieses durch die angegriffenen Regelungen als verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmungen ausgestaltet, fährt das BVerwG fort. Die Alterlaubnisse, die nach § 33i GewO erteilt worden seien und in Berlin spätestens sechs Monate nach Bekanntgabe der Auswahlentscheidungen im sogenannten Sonderverfahren erlöschen würden, genössen als solche keinen eigentumsrechtlichen Schutz. Einzelfällen unzumutbarer Grundrechtsbeeinträchtigungen trügen Härtefallregelungen Rechnung. Solche Beeinträchtigungen seien hier nicht festgestellt worden.

Einschränkungen auch mit EU-Recht vereinbar

Die Anwendbarkeit der angegriffenen Spielhallenregelungen wird laut BVerwG auch nicht durch das EU-Recht ausgeschlossen. Das Spielhallengesetz Berlin sei nicht nach Art. 8 der Richtlinie 98/34/EG an die EU-Kommission zu notifizieren gewesen, da es keine "technische Vorschrift" im Sinne der Richtlinie enthält. Es schließe die Verwendung von Spielgeräten in Spielhallen nicht aus und verringere damit nicht ihre "Nutzungskanäle". Das EU-rechtliche Kohärenzgebot stehe der Anwendbarkeit der streitgegenständlichen Regelungen nicht entgegen, weil nach den tatrichterlichen Feststellungen keine der Klägerinnen selbst in ihrer Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit verletzt ist. Im Übrigen stehe das Kohärenzgebot, selbst wenn es im Glücksspielrecht außerhalb des Monopolbereiches zu beachten wäre, lediglich "scheinheiligen" Regelungen mit einem tatsächlich nicht auf Suchtbekämpfung gerichteten Ziel sowie solchen Regelungen entgegen, die wegen einer gegenläufigen Glücksspielpolitik in Bereichen mit gleichem oder höherem Suchtpotenzial keine Wirksamkeit entfalten könnten. Das sei hier nicht zu erkennen.

BVerwG, Urteil vom 16.12.2016 - 8 C 6.15

Redaktion beck-aktuell, 19. Dezember 2016.

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