"Kopftuch-Auflage" für Rechtsreferendarin war 2015 rechtswidrig

Eine Rechtsreferendarin konnte eine Auflage, die ihr das Tragen eines Kopftuchs bei hoheitlichen Tätigkeiten untersagte, auch dann noch mit der Fortsetzungsfeststellungsklage angreifen, nachdem die Auflage nach acht Monaten mangels Bedeutung für die weiteren Ausbildungsstationen aufgehoben worden war. Das Bundesverwaltungsgericht hält die Klage auch für begründet, weil 2014 und 2015 noch eine Rechtsgrundlage für eine solche Auflage fehlte.

Auflage nach Ende der Strafrechtsstation aufgehoben

Die Klägerin ist muslimischen Glaubens und trägt als Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung ein Kopftuch. Im September 2014 wurde sie in Bayern zu dem im Oktober 2014 beginnenden juristischen Vorbereitungsdienst mit der Auflage zugelassen, dass "bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung (zum Beispiel Wahrnehmung des staatsanwaltlichen Sitzungsdienstes, Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen in der Zivilstation) keine Kleidungsstücke, Symbole und andere Merkmale getragen werden dürfen, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die religiös-weltanschauliche Neutralität der Dienstausübung zu beeinträchtigen." Der Widerspruch der Klägerin gegen die Auflage blieb erfolglos. Nach der Klageerhebung hob der Beklagte – acht Monate nach Beginn des Referendariats – die Auflage auf, weil die Strafrechtsstation mittlerweile beendet und die Auflage daher nicht mehr erforderlich sei.

Vorinstanz verneint Feststellungsinteresse

Daraufhin beantragte die Klägerin festzustellen, dass die Auflage rechtswidrig gewesen ist. Hiermit war sie erstinstanzlich erfolgreich, unterlag aber in der zweiten Instanz. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Insbesondere liege zwar ein Grundrechtseingriff vor; dieser sei aber nicht tiefgreifend und habe sich auch nicht typischerweise kurzfristig erledigt.

Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig

Das BVerwG hat auf die Revision der Klägerin das Berufungsurteil aufgehoben und das stattgebende erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig, weil die "Kopftuch-Auflage" einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstelle, der sich typischerweise zu kurzfristig erledige, um Hauptsacherechtsschutz zu erlangen. Die Auflage habe sich zwar Bedeutung für die gesamte zweijährige Referendariatszeit beigemessen, habe aber typischerweise nur in den ersten beiden Stationen – der Zivil- und der Strafrechtsstation – einen praktischen Anwendungsbereich gehabt. Innerhalb dieses Zeitraums sei Hauptsacherechtsschutz – auch unter Berücksichtigung des Widerspruchsverfahrens – regelmäßig nicht zu erlangen.

Auflage war ohne gesetzliche Grundlage erteilt worden

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach Ansicht des BVerwG auch begründet, weil es im maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der Auflage von Oktober 2014 bis Mai 2015 in Bayern die erforderliche gesetzliche Grundlage für den mit einer solchen Auflage verbundenen Eingriff in die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) noch nicht gab. Diese gesetzliche Grundlage sei erst im Jahr 2018 mit Art. 11 Absatz 2 Bayerisches Richter- und Staatsanwaltsgesetz in Verbindung mit Art. 57 Bayerisches Gerichtsverfassungsausführungsgesetz geschaffen worden.

BVerwG, Urteil vom 12.11.2020 - 2 C 5.19

Redaktion beck-aktuell, 12. November 2020.