Knabenchor muss Mädchen nicht aufnehmen
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© ZB / Karlheinz Schindler

Wird ein Mädchen in einem Knabenchor abgelehnt, der als öffentliche Einrichtung einer Hochschule organisiert ist, kann dies ausnahmsweise trotz mittelbarer Geschlechterdiskriminierung gerechtfertigt sein. Laut Bundesverwaltungsgericht lässt sie sich durch das verfassungsrechtlich geschützte Kulturgut des "Klangraums" eines Knabenchors legitimieren. Aufnahmekriterium war eine zu dieser Chorform passende Stimme.

Chor pflegt 400-jährige Tradition des Knabenchorgesangs

Ein Mädchen verlangte von der Hochschule des Landes Berlin in den nur mit Knaben besetzten Konzertchor des Berliner Staats- und Domchors aufgenommen zu werden. Dieser war Teil der Universität der Künste Berlin und widmete sich der Pflege einer vierhundertjährigen Tradition des Knabenchorgesangs. Laut § 3 der Satzung besteht der Chor nur aus Knaben und Männern. Die Klägerin, die die Ausbildungschöre des Chores nicht besucht hatte, bewarb sich im Alter von neun Jahren um Aufnahme in den Konzertchor. Der Chorleiter lehnte sie ab, weil sie das für den Chor vorausgesetzte Niveau nicht erreiche und weil sie sich mit ihrer Stimme nicht in das Klangbild eines Knabenchors einfüge. Der Versuch, diese Entscheidung revidieren zu lassen, schlug sowohl beim Verwaltungsgericht Potsdam als auch beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg fehl, da die Auswahlentscheidung des Chorleiters keine Beurteilungsfehler erkennen lasse. Insbesondere die Orientierung daran, ob die Bewerber zusätzlich zum hohen Ausbildungsstand stimmlich zum Klang eines Knabenchores passen, sei nicht zu beanstanden. Eine mittelbare Ungleichbehandlung weiblicher Bewerberinnen sei insofern gerechtfertigt. Das OVG ließ die Revision nicht zu. Daraufhin legte die Gesangsbegeisterte die Nichtzulassungsbeschwerde beim BVerwG ein – ohne Erfolg.

Mittelbare Geschlechterdiskriminierung war gerechtfertigt

Den Leipziger Richtern zufolge war die mittelbare Geschlechterdiskriminierung gerechtfertigt, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Der Umstand, dass das OVG nicht auf tatsächlich bestehende Traditionen, sondern auf den normativen Schutz- und Förderungsauftrag für kulturelles Leben aus Art. 20 Abs. 2 der Verfassung von Berlin (VvB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.11.1995 abgestellt habe, sei nicht zu beanstanden. Demzufolge legitimierten nicht faktische traditionelle Prägungen, sondern das rechtlich schutzwürdige Kulturgut des Klangraums eines Knabenchors die mittelbare Diskriminierung der Geschlechter. Nach dem Widmungszweck der Einrichtung werde gerade nicht auf das Geschlecht des Bewerbers bzw. der Bewerberin abgestellt, sondern Aufnahmekriterium sei die stimmliche Fähigkeit, einen Knabenchorklang zu erzeugen. Auch die Kunstfreiheit der Beklagten und ihres Chorleiters nach Art. 5 Abs. 3 GG rechtfertige eine mittelbare Ungleichbehandlung. Wann diesem verfassungsrechtlich geschützten Interesse ein hinreichendes Gewicht zukomme, um eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, sei stets eine Frage des Einzelfalls. Die von der Klägerin geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der Rechtsanwendung seien jedenfalls ohne Belang.

BVerwG, Beschluss vom 08.04.2022 - 6 B 17.21

Redaktion beck-aktuell, 31. Mai 2022.