BVerwG klärt Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung des § 25b AufenthG

Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Reihe umstrittener Fragen zur Auslegung und Anwendung der am 01.08.2015 in Kraft getretenen Bleiberechtsregelung für geduldete Ausländer, die sich in Deutschland nachhaltig integriert haben (§ 25b AufenthG), geklärt. Bei der Prüfung des "ununterbrochen geduldeten Aufenthalts" sind danach alle Voraufenthaltszeiten, in denen der Ausländer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden konnte, zu berücksichtigen. Geringfügige Lücken von lediglich wenigen Tagen könnten unschädlich sein (Urteil vom 18.12.2019, Az.: 1 C 34.18)

Chinesin begehrt humanitäre Aufenthaltserlaubnis

Die Klägerin, eine chinesische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Sie reiste im Juli 2003 zusammen mit ihrem 1994 geborenen Sohn im Wege der Familienzusammenführung zu ihrem Ehemann in das Bundesgebiet ein und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug. Nach ihrer Scheidung im Jahr 2007 erhielt die Klägerin zunächst eine Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG für ein Jahr, deren weitere Verlängerung letztlich daran scheiterte, dass es ihr nach Ablauf ihres chinesischen Reisepasses im Juni 2011 nicht gelang, einen neuen, gültigen Pass vorzulegen. Während mehrerer Jahre hielt sie sich auf der Grundlage von Fiktionsbescheinigungen und später Duldungen in Deutschland auf. Ihren Antrag auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis lehnte die Beklagte ab. Seit Frühjahr 2017 verfügt die Klägerin erneut über einen gültigen Reisepass, wurde aber durch die Ausländerbehörde weiter wegen fehlender Reisedokumente geduldet.

Vorinstanzen: Erneut über Antrag zu entscheiden

Die Vorinstanzen haben die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b AufenthG (erneut) zu entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt, die Klägerin sei im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung eine geduldete Ausländerin im Sinne des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Sie habe sich auch seit acht Jahren im Bundesgebiet mit einer Aufenthaltserlaubnis oder zumindest der Sache nach geduldet aufgehalten. Hinsichtlich einer "Duldungslücke" von wenigen Tagen habe die Beklagte analog § 85 AufenthG eine Ermessensentscheidung zu treffen, ob diese bei der Berechnung der anrechnungsfähigen Aufenthaltszeiten außer Betracht bleiben könne. Die weiteren Voraussetzungen seien gegeben. Ein Ausweisungsinteresse sei nicht ersichtlich (DÖV 2018, 787).

BVerwG: Voraussetzungen der Duldung und der nachhaltigen Integration erfüllt

Auf die Revision der Beklagten hat das BVerwG das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an den VGH zurückverwiesen. Die Klägerin sei im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts eine "geduldete Ausländerin" gewesen und habe die für die Annahme einer nachhaltigen Integration regelmäßig erforderlichen Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG erfüllt. Insbesondere habe sie sich im maßgeblichen Zeitpunkt seit acht Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten. Entgegen der Auffassung der Beklagten bedürfe es hierzu keiner "Mindestduldungszeit". Vielmehr stünden die im Gesetz genannten Rechtsgrundlagen des Voraufenthalts gleichberechtigt nebeneinander. Zu berücksichtigen seien alle Voraufenthaltszeiten, in denen der Ausländer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden konnte. Geringfügige Lücken in den (namentlich) geduldeten Zeiten können bereits im Rahmen der nach § 25b AufenthG vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller Integrationskriterien aufgewogen werden oder – bei wie hier lediglich wenigen Tagen – auch sonst unschädlich sein.

VGH muss mögliche Verletzung von Mitwirkungspflichten prüfen

Bundesrecht verletze indes die Annahme des Berufungsgerichts, ein Ausweisungsinteresse sei nicht ersichtlich. Sie beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses) finde auch auf die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG Anwendung. Angesichts einer aktenkundigen "Passverfügung" hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob die Klägerin dadurch wirksam begründete Mitwirkungspflichten verletzt hat (Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 8 b AufenthG) und welche Rechtsfolgen sich hieraus für den Einzelfall ergeben.

BVerwG, Urteil vom 18.12.2019 - 1 C 34.18

Redaktion beck-aktuell, 19. Dezember 2019.

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