BAMF will Iranerin nach Polen abschieben
Die Klägerin, eine iranische Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann mit einem durch das polnische Konsulat in Teheran erteilten Schengen-Visum in das Bundesgebiet ein. Die Eheleute beantragten im September 2018 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Nachdem die polnischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge anerkannt hatten, lehnte das BAMF im Oktober 2018 den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab und ordnete deren Abschiebung nach Polen an.
Bundesamt verlängert Überstellungsfrist nach Kenntnis vom Kirchenasyl
Hiergegen erhob die Klägerin Klage. Ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Anfang Januar 2019 ab. Die Klägerin hielt sich ab dem 28.01.2019 im Kirchenasyl auf, ohne zunächst den Behörden ihren neuen Aufenthaltsort mitgeteilt zu haben. Nachdem sie dem BAMF im April 2019 ihren Aufenthalt im Kirchenasyl offengelegt hatte, verlängerte das Bundesamt Anfang Mai 2019 die Überstellungsfrist auf 18 Monate, weil die Klägerin flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO sei.
Vollziehung der Abschiebungsanordnung wegen Corona ausgesetzt
Im März 2020 hatten die polnischen Behörden dem Bundesamt mitgeteilt, dass vorerst keine Überstellungen von und nach Polen erfolgten. Das BAMF setzte daraufhin Mitte April 2020 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO bis auf Weiteres aus, weil im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie derzeit Dublin-Überstellungen nicht möglich seien.
VG erklärt Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist für wirksam
Das VG Düsseldorf hat die Klage der Frau abgewiesen. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylgesuchs sei nicht gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen, weil diese zunächst durch den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz unterbrochen und dann wegen Flüchtigseins der Klägerin wirksam auf 18 Monate bis zum 07.07.2020 verlängert worden sei.
VG bejaht "Flüchtigsein"
Die Klägerin sei im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO flüchtig gewesen, da sie sich seit dem 28.01.2019 nicht mehr in der ihr zugewiesenen Unterkunft aufgehalten habe, ohne die zuständigen Behörden über ihren Aufenthaltsort zu informieren. Die vor Ablauf der verlängerten Überstellungsfrist erfolgte Aussetzung der Vollziehung durch das Bundesamt habe die Frist erneut unterbrochen, weil sie aus einem sachlich gerechtfertigten Grund erfolgt sei, so das VG.
Sprungrevision erfolgreich: Überstellungsfrist nicht wirksam verlängert
Das BVerwG hat der (Sprung-)Revision der Klägerin stattgegeben. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylgesuchs sei durch den Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist bereits Mitte 2019 auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil das BAMF diese Frist nicht wirksam verlängert habe.
Bekanntgabe des Kirchenasyls beendete "Flüchtigsein"
Denn die Klägerin sei im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung des BAMF nicht (mehr) flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz Alt. 2 Dublin-III-VO gewesen, so das BVerwG, weil dem Amt zu diesem Zeitpunkt ihr Aufenthaltsort im Kirchenasyl bekannt war. Eine Überstellung der Klägerin sei dann aber rechtlich und tatsächlich (wieder) möglich gewesen. Daran ändere die (rechtlich nicht verbindliche) Verfahrensabsprache zwischen dem Bundesamt und den Kirchen zum Vorgehen bei Personen, die sich im Kirchasyl befinden, nichts.
Prüfung des "Flüchtigseins" im Sinne des EU-Rechts nicht veranlasst
Die Absprache beeinflusst laut BVerwG insbesondere nicht die Auslegung des unionsrechtlichen Rechtsbegriffs "flüchtig" im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO. Der Sachverhalt gebe auch keinen Anlass zur abschließenden Prüfung, ob und unter welchen Voraussetzungen in Ausnahmefällen trotz bekannter Anschrift ein (fortbestehendes) "Flüchtigsein" im Sinne des Unionsrechts angenommen werden könne.