BVerwG: Kein Zweit-Asylantrag bei nicht abgeschlossenem Asylverfahren im Ausland

Ein asylrechtlicher Zweitantrag, der bei Fehlen neuen Vorbringens ohne Sachprüfung als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nicht vor, wenn das vor Zuständigkeitsübergang auf Deutschland in einem anderen Mitgliedstaat ohne Sachentscheidung eingestellte Asylverfahren nach dortiger Rechtslage wiederaufgenommen werden kann und dann zur umfassenden Prüfung des Asylantrages führt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden (Urteil vom 14.12.2016, Az.: 1 C 4.16).

BAMF ging von Zweitanträgen aus

Die Kläger, eine Familie afghanischer Staatsangehörigkeit, reisten im Juli 2012 nach Deutschland ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zuvor hatten sie bereits in Ungarn Asylanträge gestellt, deren Bearbeitung nach Fortzug der Kläger eingestellt worden war. Ungarn stimmte einem Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu, doch wurden die Kläger innerhalb der Überstellungsfrist nach der Dublin-II-Verordnung nicht dorthin überstellt. Das BAMF lehnte die Durchführung weiterer Asylverfahren ab, weil es sich bei den Asylanträgen nach der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens in Ungarn um Zweitanträge handele und die Kläger keine Gründe für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens – insbesondere keine nachträglich veränderte Sachlage – geltend gemacht hätten. Die Anfechtungsklage der Kläger hatte in den Vorinstanzen Erfolg (VGH München, NVwZ 2016, 625 und VG München, BeckRS 2014, 100322).

BVerwG: BAMF muss Asylverfahren durchführen

Das BVerwG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Es geht in Fortentwicklung seiner Rechtsprechung nunmehr davon aus, dass die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 Asylgesetz (AsylG) ergeht, mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Es bestehe in diesen Fällen keine gerichtliche Pflicht zum "Durchentscheiden" über den Asylantrag. Vielmehr habe das Bundesamt nach Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung ein Asylverfahren durchzuführen.

Mangels erfolglos abgeschlossenen Asylverfahrens in Ungarn keine Zweitanträge

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens durch das BAMF erachtet das BVerwG für rechtswidrig, weil es sich hier nicht um Zweitanträge im Sinn von § 71a Abs. 1 AsylG handelt. Die Behandlung als Zweitantrag setze ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat voraus. Ein solches liege nicht vor, wenn das in diesem Staat betriebene und ohne Sachentscheidung eingestellte Asylverfahren nach dessen Rechtsordnung in der Weise wiederaufgenommen werden könne, dass eine volle sachliche Prüfung des Antrags stattfindet. So habe der Fall hier gelegen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die Kläger in Ungarn nach der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Rechtslage die Möglichkeit gehabt, das dort eingeleitete Asylverfahren ohne inhaltliche Beschränkung ihres Vortrags wie ein Erstverfahren weiterzubetreiben.

BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16

Redaktion beck-aktuell, 15. Dezember 2016.

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