Kein Nachzug bei nach der Flucht geschlossener Ehe
Lorem Ipsum
© weerapat1003 / stock.adobe.com

Wird eine Ehe erst nach Verlassen des Herkunftslandes geschlossen, ist sie aufenthaltsrechtlich nicht "vor der Flucht" geschlossen. Die zugrunde liegende Norm kann laut Bundesverwaltungsgericht auch auf vor Inkrafttreten geschlossene Ehen angewendet werden. Ausnahmen seien zulässig; sei das Paar aber von Beginn an räumlich getrennt gewesen, fehle es bereits an einer schutzwürdigen tatsächlichen ehelichen Lebensgemeinschaft.

Sudanesin verlangt Visum zum Zweck des Ehegattennachzugs

Eine sudanesische Staatsangehörige verlangte die Erteilung eines Visums zum Zweck des Nachzugs zu ihrem Ehemann. Beide lernten sich 2015 kennen, verlobten sich (einander begegnet waren sie sich aber noch nicht) und heirateten zwei Jahre später. Bei der Hochzeit im Sudan ließ sich der Mann vertreten ("Handschuhehe"). Er hatte seine Heimat bereits 2010 verlassen. Nach dreijährigem Aufenthalt in Libyen reiste er 2013 in das Bundesgebiet ein. 2017 wurde ihm der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und er erhielt eine Aufenthaltserlaubnis. Sein Asylantrag wurde dennoch abgelehnt. 2019 beantragte die Sudanesin die Erteilung eines Visums. Ihr Antrag scheiterte sowohl bei der deutschen Botschaft in Khartum als auch beim VG Berlin. Beide wiesen auf den Ausschlussgrund des seit 2018 geltenden § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG hin: Sie habe die Ehe nicht bereits vor der Flucht ihres Mannes, sondern erst nach dessen Verlassen des gemeinsamen Herkunftslandes geschlossen. Dagegen legte sie - gestützt auf ein Rechtsgutachten von "Pro Asyl" - erfolglos Revision beim BVerwG ein.

BVerwG: Keine Benachteiligung gegenüber anerkannten Flüchtlingen

Aus Sicht der Leipziger Richter verstieß die Entscheidung aber weder gegen das Rückwirkungsverbot noch beinhaltet sie eine Benachteiligung gegenüber anerkannten Flüchtlingen, deren Familiennachzug § 36a AufenthG nicht derart beschränkt. Der subsidiäre Schutzstatus sei insoweit von "eher temporärer Natur". Ansonsten handele es sich lediglich um eine zulässige unechte Rückwirkung zur Regelung noch nicht abgeschlossener Sachverhalte für die Zukunft. Einen Vorrang der Interessen des Ehepaares sieht das BVerwG dabei nicht: Art. 6 Abs. 1 GG begründe keinen unbedingten, unmittelbaren grundrechtlichen Anspruch ausländischer Ehegatten auf Nachzug zu ihren berechtigt in der Bundesrepublik lebenden ausländischen Ehegatten.

Keine tatsächliche Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Die von der Frau geschlossene Ehe verkörpere den Regelfall einer nach dem Verlassen des Herkunftslandes und nach der Einreise in den schutzgewährenden Mitgliedstaat geschlossenen Ehe, die der Gesetzgeber als weniger schutzwürdig angesehen habe und habe ansehen dürfen. Da sie bei von Beginn an bestehender räumlicher Trennung der Ehegatten in der Form der Handschuhehe geschlossen worden sei, lasse sich keine tatsächliche Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu irgendeinem Zeitpunkt entnehmen. Zudem werde der Nachzug nicht für jeden Fall ausgeschlossen, da Härtefälle berücksichtigt werden könnten. 

BVerwG, Urteil vom 27.04.2021 - 1 C 45.20

Redaktion beck-aktuell, 18. Juni 2021.