Kein Nach­zug bei nach der Flucht ge­schlos­se­ner Ehe
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Wird eine Ehe erst nach Ver­las­sen des Her­kunfts­lan­des ge­schlos­sen, ist sie auf­ent­halts­recht­lich nicht "vor der Flucht" ge­schlos­sen. Die zu­grun­de lie­gen­de Norm kann laut Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt auch auf vor In­kraft­tre­ten ge­schlos­se­ne Ehen an­ge­wen­det wer­den. Aus­nah­men seien zu­läs­sig; sei das Paar aber von Be­ginn an räum­lich ge­trennt ge­we­sen, fehle es be­reits an einer schutz­wür­di­gen tat­säch­li­chen ehe­li­chen Le­bens­ge­mein­schaft.

Su­da­ne­sin ver­langt Visum zum Zweck des Ehe­gat­ten­nach­zugs

Eine su­da­ne­si­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge ver­lang­te die Er­tei­lung eines Vi­sums zum Zweck des Nach­zugs zu ihrem Ehe­mann. Beide lern­ten sich 2015 ken­nen, ver­lob­ten sich (ein­an­der be­geg­net waren sie sich aber noch nicht) und hei­ra­te­ten zwei Jahre spä­ter. Bei der Hoch­zeit im Sudan ließ sich der Mann ver­tre­ten ("Hand­schu­he­he"). Er hatte seine Hei­mat be­reits 2010 ver­las­sen. Nach drei­jäh­ri­gem Auf­ent­halt in Li­by­en reis­te er 2013 in das Bun­des­ge­biet ein. 2017 wurde ihm der sub­si­diä­re Schutz­sta­tus zu­er­kannt und er er­hielt eine Auf­ent­halts­er­laub­nis. Sein Asyl­an­trag wurde den­noch ab­ge­lehnt. 2019 be­an­trag­te die Su­da­ne­sin die Er­tei­lung eines Vi­sums. Ihr An­trag schei­ter­te so­wohl bei der deut­schen Bot­schaft in Khar­tum als auch beim VG Ber­lin. Beide wie­sen auf den Aus­schluss­grund des seit 2018 gel­ten­den § 36a Abs. 3 Nr. 1 Auf­en­thG hin: Sie habe die Ehe nicht be­reits vor der Flucht ihres Man­nes, son­dern erst nach des­sen Ver­las­sen des ge­mein­sa­men Her­kunfts­lan­des ge­schlos­sen. Da­ge­gen legte sie - ge­stützt auf ein Rechts­gut­ach­ten von "Pro Asyl" - er­folg­los Re­vi­si­on beim BVer­wG ein.

BVer­wG: Keine Be­nach­tei­li­gung ge­gen­über an­er­kann­ten Flücht­lin­gen

Aus Sicht der Leip­zi­ger Rich­ter ver­stieß die Ent­schei­dung aber weder gegen das Rück­wir­kungs­ver­bot noch be­inhal­tet sie eine Be­nach­tei­li­gung ge­gen­über an­er­kann­ten Flücht­lin­gen, deren Fa­mi­li­en­nach­zug § 36a Auf­en­thG nicht der­art be­schränkt. Der sub­si­diä­re Schutz­sta­tus sei in­so­weit von "eher tem­po­rä­rer Natur". An­sons­ten han­de­le es sich le­dig­lich um eine zu­läs­si­ge un­ech­te Rück­wir­kung zur Re­ge­lung noch nicht ab­ge­schlos­se­ner Sach­ver­hal­te für die Zu­kunft. Einen Vor­rang der In­ter­es­sen des Ehe­paa­res sieht das BVer­wG dabei nicht: Art. 6 Abs. 1 GG be­grün­de kei­nen un­be­ding­ten, un­mit­tel­ba­ren grund­recht­li­chen An­spruch aus­län­di­scher Ehe­gat­ten auf Nach­zug zu ihren be­rech­tigt in der Bun­des­re­pu­blik le­ben­den aus­län­di­schen Ehe­gat­ten.

Keine tat­säch­li­che Her­stel­lung der ehe­li­chen Le­bens­ge­mein­schaft

Die von der Frau ge­schlos­se­ne Ehe ver­kör­pe­re den Re­gel­fall einer nach dem Ver­las­sen des Her­kunfts­lan­des und nach der Ein­rei­se in den schutz­ge­wäh­ren­den Mit­glied­staat ge­schlos­se­nen Ehe, die der Ge­setz­ge­ber als we­ni­ger schutz­wür­dig an­ge­se­hen habe und habe an­se­hen dür­fen. Da sie bei von Be­ginn an be­stehen­der räum­li­cher Tren­nung der Ehe­gat­ten in der Form der Hand­schu­he­he ge­schlos­sen wor­den sei, lasse sich keine tat­säch­li­che Her­stel­lung der ehe­li­chen Le­bens­ge­mein­schaft zu ir­gend­ei­nem Zeit­punkt ent­neh­men. Zudem werde der Nach­zug nicht für jeden Fall aus­ge­schlos­sen, da Här­te­fäl­le be­rück­sich­tigt wer­den könn­ten. 

BVerwG, Urteil vom 27.04.2021 - 1 C 45.20

Redaktion beck-aktuell, 18. Juni 2021.

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