Kein Befehl ohne Vorgesetzten

Ein Soldat, der einen rechtswidrigen verbindlichen Befehl befolgt, handelt ohne Schuld. Das Bundesverwaltungsgericht sprach nun einen Soldaten von der Schuld frei, der dachte, er folge dem rechtswidrigen Befehl eines Vorgesetzten – der aber gar kein Vorgesetzter war. Ein unvermeidbarer Irrtum über die Vorgesetzteneigenschaft begründet den Leipziger Richtern zufolge ebenfalls einen Freispruch.

Kameraden in Schieß-Bereich gefahren

Ein Oberstabsgefreiter führte im Dezember 2017 einen Omnibus mit 32 Kameraden auf dem Weg zu einer Übungsstätte. Neben ihm saß ein Oberstabsfeldwebel, von dem er fälschlicherweise annahm, dass dieser dem Bus als "Führer des Busses" (und damit als sein Vorgesetzter) zugeteilt war. Auf der Fahrt passierten sie einen inneren Schrankenring, der deutlich anzeigte, dass die Durchfahrt wegen Lebensgefahr (Scharfschießen) gesperrt war. Der Oberstabsfeldwebel schaute auf sein Handy, mit dem er den Fahrer navigierte, und sagte "weiter geradeaus". Daraufhin umfuhr der Soldat die Schranken. Anderthalb Kilometer weiter kam eine weitere Schranke, die ebenfalls die Weiterfahrt mit dem Hinweis auf mit scharfer Munition schießende Soldaten verbot. Hier wendete der Fahrer zunächst, um zurückzufahren. Dann aber räumte er auf Geheiß des Oberstabsfeldwebels und mit demselben die Schranke beiseite, um anschließend weiter mitten in den Zielbereich der Schützen zu fahren, die allerdings erst später mit ihrer Übung beginnen würden. Das Truppendienstgericht sprach den Zeitsoldaten frei, dagegen erhob die Wehrdisziplinaranwaltschaft Berufung. Das Bundesverwaltungsgericht erteilte ihm einen strengen Verweis.

"Weiter geradeaus" ist kein Befehl

Der Fahrer, dem klar war, dass er sowohl mit dem Umfahren des inneren Schrankenrings als auch mit dem Passieren der Sperre Vorschriften missachtet hatte, berief sich auf den Befehlsnotstand. In solchen Fällen trägt dem 2. Wehrsenat zufolge nach § 10 Abs. 5 Satz 1 SG der befehlende Vorgesetzte die Verantwortung – auch für rechtswidrige Befehle. Vorliegend lag dem BVerwG zufolge mit einem "Weiter geradeaus" aber kein Befehl vor, weil der Oberstabsfeldwebel mit dieser Ansage nicht deutlich gemacht habe, dass er damit eine Gehorsamspflicht einforderte, die notfalls mit einer Drohung mit disziplinarrechtlichen Konsequenzen durchgesetzt werden konnte. Vielmehr sei darunter nur eine allgemein gehaltene Navigationsanweisung zu verstehen. Der Fahrer könne sich insoweit auch nicht auf den Entschuldigungsnotstand nach § 35 Abs. 2 StGB berufen, weil er sich in einem Irrtum über den Befehlscharakter befunden habe, denn er habe selber gesehen, dass sich sein Beifahrer auf das Handy konzentriert habe. Er sei sich also nicht sicher sein können, dass dieser die Verbotsschilder überhaupt gesehen habe. Er hätte den Oberstabsfeldwebel zunächst entsprechend informieren müssen.

Kein Befehlsnotstand beim Wegräumen der Sperre

Die Leipziger Richter sahen zwar auch beim Wegräumen der Sperre keinen Befehlsnotstand, weil der Oberstabsfeldwebel kein militärischer Vorgesetzter des Soldaten war und deshalb auch keinerlei Befehlsbefugnis nach § 1 Abs. 3 Satz 1 SG innehatte. Allerdings habe er sich so benommen, indem er entschieden habe, die Sperre wegzuräumen. Außerdem wurde dem Soldaten in der Regel tatsächlich ein "Führer des Busses" zur Seite gestellt, der für die Streckenführung verantwortlich und damit dem Fahrer gegenüber auch befehlsbefugt war. Der Irrtum über diese Eigenschaft des Oberstabsfeldwebels war für den Soldaten auch unvermeidbar. Er handelte deshalb bezüglich dieses Vorwurfs ohne Schuld. Insgesamt erhielt er unter Berücksichtigung seines bisherigen einwandfreien Verhaltens, seiner überdurchschnittlichen Leistung und der langen Verfahrensdauer einen strengen Verweis.

BVerwG, Urteil vom 10.03.2022 - 2 WD 7.21

Redaktion beck-aktuell, 31. Mai 2022.