Karlsruhe soll über BAföG-Bedarfssatz für Studierende entscheiden
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Das Bundesverwaltungsgericht hält die BAföG-Regelung, nach der im Zeitraum von Oktober 2014 bis Februar 2015 ein monatlicher Bedarf für Studierende in Höhe von 373 Euro galt, für verfassungswidrig. Ob der zugrunde liegende § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG tatsächlich gegen Verfassungsrecht verstößt, soll nun das Bundesverfassungsgericht klären. Das BVerwG sieht einen Verstoß gegen das Recht auf chancengleichen Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten.

BVerwG: Recht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten verletzt

 

Die Klägerin erhielt für den Zeitraum Oktober 2014 bis Februar 2015 unter Anrechnung elterlichen Einkommens Ausbildungsförderung nach Maßgabe der Bestimmungen des BAföG. Die entsprechenden Förderungsbescheide griff die Klägerin mit der Begründung an, der für den fraglichen Zeitraum geltende Bedarfssatz für Studierende sei in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen. Ihre auf höhere BAföG-Leistungen gerichtete Klage blieb vor den Verwaltungsgerichten in erster und zweiter Instanz (vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2019, 600) erfolglos. Nach Überzeugung des BVerwG ist der angegriffene Bedarfssatz mit dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten (Art. 12 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG) nicht vereinbar. Dieses Teilhaberecht verpflichte den Gesetzgeber, für die Wahrung gleicher Bildungschancen Sorge zu tragen und im Rahmen der staatlich geschaffenen Ausbildungskapazitäten allen entsprechend Qualifizierten eine Ausbildung in einer Weise zu ermöglichen, die den Zugang zur Ausbildung nicht von den Besitzverhältnissen der Eltern abhängig macht, sondern ihn so gestaltet, dass soziale Gegensätze hinreichend ausgeglichen werden und soziale Durchlässigkeit gewährleistet wird.

Tatsächliches Gebrauchmachen von Teilhaberecht darf nicht verhindert werden

Obgleich dem Gesetzgeber dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, sei eine den Mindestanforderungen gerecht werdende Förderung verfassungsrechtlich geboten, die verhindert, dass das tatsächliche Gebrauchmachen von dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht nicht an einer unzureichenden finanziellen Ausstattung von Ausbildungswilligen scheitert. Weil dies voraussetze, dass die materiellen Anforderungen für die Durchführung der Ausbildung gesichert sind, folge aus dem Teilhaberecht ein Anspruch auf staatliche Förderung für diejenigen, die ihr ausbildungsbezogenes Existenzminimum nicht aus eigenen oder von Seiten Dritter zur Verfügung gestellten Mitteln bestreiten können und deren Zugang zur Ausbildung, obgleich sie die subjektiven Zugangsvoraussetzungen erfüllen, ohne eine entsprechende staatliche Unterstützung aus tatsächlichen Gründen vereitelt oder unzumutbar erschwert würde.

Konkrete Festlegung des Bedarfssatzes wird verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht

Dem sei der Gesetzgeber mit der Zielsetzung, Chancengleichheit zu ermöglichen, zwar in der Weise nachgekommen, dass er einen Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung nach Maßgabe des Gesetzes einräumt, der den Lebensunterhalt und den Ausbildungsbedarf des Studierenden decken soll (§ 1, § 11 Abs. 1 BAföG). Allerdings ist er nach Überzeugung des BVerwG mit der konkreten Festlegung des hier im Streit stehenden Bedarfssatzes hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung eines ausbildungsbezogenen Existenzminimums für den von ihm als förderungswürdig und -bedürftig ausgewiesenen Personenkreis zurückgeblieben. Die Ermittlung des Bedarfssatzes unterliege der Prüfung, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung taugliches Berechnungsverfahren gewählt hat, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und schließlich, ob er sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt hat. 

Studentischer Bedarf nicht ausreichend zeitnah ermittelt

Dieser Prüfung halte der streitige Bedarfssatz nicht stand, meint das BVerwG. Eine den vorgenannten Anforderungen gerecht werdende Festsetzung könne unter anderem deshalb nicht nachvollzogen werden, weil das gewählte Berechnungsverfahren im Unklaren lasse, zu welchen Anteilen der Pauschalbetrag auf den Lebensunterhalt einerseits und die Ausbildungskosten andererseits entfällt und diese abdecken soll. Zudem fehle es an der im Hinblick auf die Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten gebotenen zeitnahen Ermittlung des entsprechenden studentischen Bedarfs. Hier habe der Festsetzung aus dem Jahr 2010, die bis 2016 galt, eine Erhebung aus dem Jahr 2006 zugrunde gelegen. Weil das BVerwG als Fachgericht nicht befugt ist, die Verfassungswidrigkeit eines Parlamentsgesetzes selbst festzustellen, hat es das Revisionsverfahren ausgesetzt und die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt.

GEW fordert BAföG-Reform

Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert unterdessen eine grundlegende BAföG-Reform. Die Fördersätze und Freibeträge bei der Ausbildungsfinanzierung müssten kräftig angehoben und automatisch angepasst werden, damit wieder mehr Studierende unterstützt werden könnten, teilte die GEW am Freitag mit. Laut GEW bezogen 1971 noch 45% der Studentinnen und Studenten in Deutschland BAföG - und zwar als Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden musste. Inzwischen bekämen nur noch 11% der Studierenden die Ausbildungsförderung, wobei sie zur Hälfte als Darlehen gewährt werde. "50 Jahre nach dem Start ist das BAföG auf einem historischen Tiefpunkt angekommen", erklärte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller.

BVerwG, Beschluss vom 20.05.2021 - 5 C 11.18

Redaktion beck-aktuell, 21. Mai 2021 (ergänzt durch Material der dpa).