Schutz vor Kompetenzüberschreitung
Das Urteil des BVerwG hatte sich in der ersten Entscheidung des Gerichts in dieser Sache von 2017 schon angedeutet: Seit 2007 kämpft ein Unternehmen dafür, dass seine Kammer, die IHK Nord Westfalen, aus dem DIHK austreten solle. Als Herstellerin von Windkraftanlagen war man von Äußerungen des Dachverbands gegen erneuerbare Energien oder für die Kernkraft nicht angetan. Dies seien allgemeinpolitische Äußerungen, welche die Satzung der Spitzenorganisation ihr nicht erlaubten. Als Zwangsmitglied der örtlichen IHK habe das Unternehmen ein Recht darauf, vor solchen Kompetenzüberschreitungen geschützt zu werden - notfalls durch Austritt ihrer Kammer aus dem DIHK. Im Lauf des Verfahrens gab der Dachverband weitere Stellungnahmen zu unterschiedlichen Themen ab, so eine Analyse der Situation in Südafrika nach dem Tod von Nelson Mandela, in dem eine "Bildungsmisere" im Land konstatiert wurde.
OVG Münster und BVerwG uneinig
VG und OVG Münster gaben der Austrittsklage nicht statt. Die eingangs erwähnte Revision zum BVerwG endete mit einer Zurückverweisung zur weiteren Aufklärung an das Oberverwaltungsgericht. Die Bundesrichter formulierten als Leitsatz, dass ein Anspruch auf Austritt in Betracht komme, wenn es sich bei den Kompetenzüberschreitungen des Dachverbands nicht nur um Einzelfälle ("Ausreißer") handele. Das OVG Münster wies die Klage anschließend erneut ab, da mittlerweile gegen allgemeinpolitische Äußerungen durch eine Satzungsänderung ein einklagbarer Anspruch für die Mitglieder auf Unterlassung geschaffen worden sei. Eine "Einsicht" des DIHK in die ihr gesetzten Grenzen konnte das OVG aufgrund einer Reihe von weiteren aufgabenfremden Äußerungen nicht feststellen.
Effektiver Schutz nur durch Austritt
Das BVerwG verpflichtete die Kammer jetzt zum Austritt aus dem DIHK. Die Vorstellung des Spitzenverbands, weiterhin etwa Äußerungen zur Präsidentenwahl in Kenia abgeben zu können, solange die Mitglieder im Einzelfall die Zivilgerichte zur Aufklärung des Verbands über seine Aufgaben bemühen könnten, biete keinen effektiven Grundrechtsschutz. Aus Sicht der Leipziger Richter konnte die Kammer aus NRW ihr Mitglied nur durch Austritt schützen. In einer ersten Reaktion bedauerte die DIHK den Austritt ihres Mitgliedsverbands und kündigte Konsequenzen an. "Im Rahmen der sorgfältigen Prüfung des Urteils wird der DIHK nachfolgend alles dafür tun, um einen Wiedereintritt der IHK Nord Westfalen zu ermöglichen", so der Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. "Insbesondere werden wir weitere Vorkehrungen treffen, um die Wiederholung von Kompetenzverstößen zuverlässig zu verhindern."
Auswirkungen auch auf Anwaltskammern?
Für Rechtsanwälte, die ebenfalls Pflichtmitglieder ihrer Kammern sind, stellt sich die Frage der Auswirkungen des Urteils auf ihre Selbstverwaltungsorganisation. Dabei ist ein wesentlicher Unterschied darin zu sehen, dass die BRAK nach §§ 175 ff. BRAO als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit eigenen Aufgaben eingerichtet ist. Ein Austritt erscheint hier schwer vorstellbar.
Allerdings gibt es auch dort gesetzliche Kompetenzgrenzen, die überschritten werden können. Anhand der Entscheidung des AnwGH Berlin zum (erlaubten) Aufruf der Berliner Kammer zur Teilnahme an der #unteilbar-Demonstration "für eine offene und freie Gesellschaft" erläuterte der Geschäftsführer der BRAK, Christian Dahns, kürzlich in NJW-Spezial seine Sicht auf die Aufgaben der Kammern. Unter Berufung auf eine Entscheidung des Hessischen AnwGH verwies er darauf, "dass sich der durch die §§ 73, 89 BRAO umrissene Aufgabenbereich der Kammern nicht nur auf die diesen ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben beschränkt, sondern sich auf alle Angelegenheiten erstreckt, die von allgemeiner - nicht allein rein wirtschaftlicher - Bedeutung für die Anwaltschaft sind".