Genehmigung des Prüfungsrücktritts bei Verstoß gegen die Fürsorgepflicht

Ein Student kann seinen Rücktritt grundsätzlich auch nach Beginn einer Prüfung wegen krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit erklären. Dabei kann die Prüfungsbehörde laut Bundesverwaltungsgericht gegen ihre Fürsorgepflicht verstoßen, wenn sie sich ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen auf die inhaltliche Unzulänglichkeit einer ärztlichen Bescheinigung beruft und keine Nachbesserung verlangt.

Prüfungsrücktritt wegen Migräne am dritten Prüfungstag

Eine angehende Medizinerin klagte gegen die Versagung der Genehmigung des Rücktritts vom Zweiten Abschnitt ihrer Ärztlichen Prüfung durch das Landesprüfungsamt. Im März 2017 war sie hierfür zugelassen worden, nachdem sie den ersten Abschnitt bestanden und die klinische Ausbildung absolviert hatte. Nach zwei erfolglosen Prüfungsversuchen lud die Behörde sie zur Fortsetzung des schriftlichen Teils vom 10. bis 12.04.2018 jeweils um 9:00 Uhr. Bereits am Nachmittag des zweiten Prüfungstags litt sie an migräneartigen Beschwerden, die sich am Morgen danach als Migränekopfschmerzen mit Schwindel und Übelkeit fortsetzten. Auf ihre Nachfrage um 9:43 Uhr teilte ihr das Prüfungsamt per E-Mail um 10:10 Uhr bzw. 11:09 Uhr mit, dass ein ausführliches Attest benötigt werde. Sie solle dies eingescannt einreichen und für eine Überprüfung bei einem von der Behörde ausgewählten Arzt eine Kontaktmöglichkeit mitteilen. Die Klägerin mailte um 11:41 Uhr eine "Bescheinigung der Prüfungsunfähigkeit", ausgestellt von einem Arzt der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Dieser ging von einer vorübergehenden erheblichen Beeinträchtigung ihres Leistungsvermögens aus, die sich leistungsmindernd auswirke, und beschrieb die Symptome (unter anderem Kopfschmerzen und erhöhte Lichtempfindlichkeit). Die Behörde stufte diese als normale Begleiterscheinungen der Prüfung ein, die keine Prüfungsunfähigkeit begründeten, und teilte mit, dass sie nichts weiter unternehmen müsse. Ein eigens von ihr aufgesuchter Amtsarzt verweigerte ihre Untersuchung aufgrund der behördlichen Ablehnung. Am 23.04.2018 wurde die Genehmigung der Säumnis abgelehnt.

OVG: "Nicht unverzügliche Mitteilung des Rücktrittsgrunds" vom Prüfungsamt verschuldet

Der darauf folgende Widerspruch und die Klage beim VG Leipzig blieben erfolglos. Anders beim OVG Bautzen, das den Beklagten verpflichtete, den Rücktritt zu genehmigen. Dass sie die Rücktrittsgründe entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 ÄApprO nicht unverzüglich mitgeteilt habe, stehe einer Genehmigung nicht entgegen. Denn die Behörde hätte sie darauf hinweisen müssen, welche Mängel des Attests eine abschließende Beurteilung der Prüfungsunfähigkeit nicht erlaubten. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Prüfungsamts beim BVerwG hatte keinen Erfolg.  

Verstoß gegen die Hinweispflicht

Dem BVerwG zufolge kann der Rücktritt von einer Prüfung im Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 ÄApprO grundsätzlich noch nach Prüfungsbeginn erklärt werden. Die Frage, ob dieser dann auch noch als "unverzüglich" angesehen werden könne, sei eine Frage des Einzelfalls und damit keiner allgemeinen Klärung zugänglich. In diesem Zusammenhang habe das OLG jedenfalls die bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Unverzüglichkeit der Rücktrittserklärung rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt. Es sei im Einzelfall durchaus möglich, dass sich die aus der Fürsorgepflicht resultierenden Hinweispflichten nicht nur auf die mangelnde Aussagekraft ärztlicher Bescheinigungen, sondern auch auf die Nachbesserung der unverzüglichen Mitteilung des Rücktrittsgrundes beziehen könnten.

BVerwG, Beschluss vom 27.09.2022 - 6 B 20.22

Redaktion beck-aktuell, 11. November 2022.