Verstoß gegen Sitzungsöffentlichkeit kann Beschlüsse einer Ratssitzung ungültig machen

Eine Verletzung des kommunalrechtlichen Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit durch fehlerhafte Vergabe eines Teils der Sitzplätze führt zur Nichtigkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse, wenn die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleistet war. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gestern entschieden und die Vorinstanz im Wesentlichen bestätigt.

Ratsfraktion bemängelt Kartenvergabe für Ratssitzung

Der Bürgermeister der Stadt Gladbeck berief für den 26.11.2015 eine Ratssitzung ein. Wegen des erwarteten großen Zuschauerinteresses vergab die Verwaltung Eintrittskarten. Von den insgesamt 73 Plätzen wurden acht der Presse, neun verschiedenen Funktionsträgern und sieben dem Bürgermeister zur Verfügung gestellt. Die im Rat vertretenen Fraktionen erhielten insgesamt 25 Karten, die ihnen im Verhältnis zu ihrem Stimmenanteil bei der Kommunalwahl 2014 zugeteilt wurden. Die restlichen 24 Karten vergab die Verwaltung nach der Reihenfolge der Anfragen. Die Klägerin, eine Ratsfraktion, hat gegen den Rat der Stadt Klage erhoben und geltend gemacht, dieses Vergabesystem verletze den Grundsatz der Öffentlichkeit und führe zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse.

BVerwG bestätigt Vorinstanz

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte entschieden, die Beschlüsse des Beklagten aus dem öffentlichen Teil der Ratssitzung seien unwirksam. Das OVG Münster hatte dieses Urteil teilweise abgeändert. Es hatte zwar die Feststellung der Verletzung von Organrechten der Klägerin aufrechterhalten, den weitergehenden Antrag, die Nichtigkeit der Beschlüsse festzustellen, hatte es jedoch abgewiesen. Im Revisionsverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht dies nun bestätigt.

Bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen unter engen Voraussetzungen zulässig

Die Annahme des OVG, der Beklagte habe die Organrechte der Klägerin verletzt, indem er bei Durchführung der Ratssitzung gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit verstoßen habe, stehe mit Bundesrecht im Einklang, so die Bundesrichter. Das Berufungsgericht sei in Auslegung irrevisiblen Landesrechts zu Recht davon ausgegangen, dass der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit eine chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann ohne Ansehen der Person im Rahmen verfügbarer Kapazitäten verlange. Eine bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen habe es nur für zulässig gehalten, soweit sie aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sei, sofern daneben noch eine relevante Anzahl an allgemein zugänglichen Plätzen verbleibe.

BVerwG verneint im konkreten Fall "schweren Verstoß"

Dieser Maßstab verletze kein höherrangiges Recht und stehe insbesondere mit dem Demokratiegebot im Einklang, so das BVerwG weiter. Revisionsrechtlich fehlerfrei sei auch die Annahme, die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führe nur bei schweren Verstößen zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse. Hingegen widerspreche  dem Demokratiegebot, ein schwerer Verstoß fehle schon, wenn eine relevante Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibe und die Zuhörerschaft insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums habe. Richtigerweise sei darauf abzustellen, ob die Funktion der Sitzungsöffentlichkeit, demokratische Kontrolle sicherzustellen, noch gewährleistet ist. Das hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht im konkreten Fall bejaht.

BVerwG, Urteil vom 27.09.2021 - 8 C 31.20

Redaktion beck-aktuell, 28. September 2021.