Familiennachzug bei Eheschließung nach Flucht aus Herkunftsland

Einem Nachzug des Ehegatten eines subsidiär Schutzberechtigten steht der Umstand, dass die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde, nicht entgegen, wenn der besondere Schutz von Ehe und Familie die Gestattung einer Wiederaufnahme der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet gebietet. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht am 17.12.2020 entschieden.

Eheschließung nach Flucht aus Syrien

Die Klägerin, eine syrische Frau, begehrt die Erteilung eines Visums zum Zweck des Familiennachzugs zu ihrem subsidiär schutzberechtigten Ehemann. Mit diesem floh sie nach eigenen Angaben im Jahr 2012 aus Syrien nach Jordanien. Dort schlossen sie im Juli 2014 die Ehe. Im März 2016 wurde ihr gemeinsamer Sohn geboren. Im September 2015 reiste der Ehemann in das Bundesgebiet ein. Nach Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus wurde ihm 2017 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Alt. 2 AufenthG erteilt. 2019 erteilte die beklagte Bundesrepublik dem Sohn ein nationales Visum zum Familiennachzug. Ein entsprechender Antrag der Mutter blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Berlin hat die insoweit erhobene Klage mit der Begründung abgewiesen, die Ehegatten hätten die Ehe nicht vor der Flucht geschlossen.

BVerwG hebt Urteil auf

Auf die Sprungrevision der Klägerin hat der Erste Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts das Urteil aufgehoben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Ein Anspruch des Ehepartners auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Familiennachzugs zum subsidiär Schutzberechtigten scheide zwar gemäß § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG in der Regel aus, wenn die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde. Eine Ausnahme von diesem Regelausschlussgrund könne sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts jedoch nicht allein aus - im vorliegenden Fall nicht gegebenen - Situationen ergeben, die ihren Grund unmittelbar in der allgemeinen Lage im Herkunftsland des subsidiär Schutzberechtigten haben.

Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft

Der besondere Schutz von Ehe und Familie gebiete es vielmehr, das Interesse an der Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem subsidiär Schutzberechtigten bereits bei der Prüfung eines Ausnahmefalles angemessen zu berücksichtigen. Dabei sei von maßgeblicher Bedeutung, ob der Familie eine Fortdauer der räumlichen Trennung zumutbar und eine Wiederaufnahme der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des den Nachzug begehrenden Ehegatten möglich und zumutbar ist. Bei der Bemessung der zumutbaren Trennungsdauer sei dem Wohl eines gemeinsamen Kleinkindes besonderes Gewicht beizumessen.

Verpflichtung Deutschlands zur Erteilung eines Visums möglich

Mit Blick auf die in § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorgesehene Beschränkung der Erteilung von monatlich höchstens 1.000 Visa könne es zudem geboten sein, die Beklagte zugleich für den Fall einer Nichtberücksichtigung bei der Auswahlentscheidung nach § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zur Erteilung eines Visums zum Zweck einer Aufnahme aus dem Ausland nach Maßgabe des § 22 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, sofern der Schutz von Ehe und Familie verfassungsrechtlich ein solches Gewicht erreicht, dass der Nachzug im konkreten Einzelfall ausnahmsweise geboten ist. Demgegenüber stehe der Erteilung eines Visums zum Zweck des Nachzugs zu dem subsidiär Schutzberechtigten nach Maßgabe des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen, dass der Ehegatte nicht sonstiger Familienangehöriger im Sinne der Norm ist.

BVerwG, Urteil vom 17.12.2020 - 1 C 30.19

Redaktion beck-aktuell, 18. Dezember 2020.